Witten. Im letzten Jahr ist die Zahl der Klienten der Wohnungslosenhilfe Witten nur leicht gestiegen. Doch das könnte sich ändern, warnen die Berater.
Große Sorgen bereitet die Pandemie auch der Wittener Wohnungslosenhilfe. „Wir befürchten, dass die Krise langfristige Auswirkungen haben wird, die wir in der Beratungsstelle durch einen Anstieg der Zahlen zu spüren bekommen werden“, so Fachdienstleiter Ulf Wegmann bei der Vorstellung des Jahresberichts 2019. Höhere Arbeitslosenzahlen und dadurch wachsende Armut – aber auch der Anstieg von familiären Krisen – würden mit Verzögerung immer zu mehr Wohnungslosen führen.
Doch auch aktuell stellt Corona die Mitarbeiter der Beratungsstelle der Diakonie Mark-Ruhr an der Röhrchenstraße bereits vor große Herausforderungen. Die Hilfe musste auch während des strengen Lockdown weitergehen. Deshalb hatte sich das Team einiges einfallen lassen, um etwa die für Obdachlose so wichtige Postausgabe weiterhin möglich zu machen. „Die Briefe haben wir aus einem Fenster in der ersten Etage abgeseilt“, erklärt Wegmann.
Beratungsbedarf für die Wittener Klienten ist gestiegen
Außerdem ist die Beratung so weit möglich auf Telefon und Mail-Verkehr umgestellt worden. Aber das macht es nicht leichter. „Wir erleben einen erhöhten Beratungs- und Unterstützungsbedarf, müssen pro Klient jetzt deutlich mehr Zeit einplanen“, so der 50-Jährige. Viele Anträge würden inzwischen in der Röhrchenstraße gleich komplett ausgefüllt und zu den zuständigen Ämtern gefaxt. Denn weil die keine Sprechstunden haben, würden sonst Fristen verstreichen und Ansprüche verfallen. „Aber zum Glück haben wir einen guten Austausch und eine prima Zusammenarbeit mit dem Jobcenter“, lobt Wegmann.
Im Rückblick auf das vergangene Jahr spricht der Fachdienstleiter von einem leichten Anstieg der Beratungszahlen. 540 Klienten sind 2019 zur Wohnungslosenhilfe Witten gekommen, ein Jahr zuvor waren es 514, die das Angebot in Anspruch genommen haben. „Diese Nachfrage zu bewältigen ist für das Team schon ganz schön sportlich“, so Wegmann. Von den 540 Besuchern waren 18 Prozent Frauen, 36,9 Prozent hatten einen Migrationshintergrund. Das sei überdurchschnittlich: „Bundesweit liegt der Anteil der Migranten an der Bevölkerung ja nur bei etwa 25 Prozent.“
Anteil der jungen Wittener in der Beratung liegt bei über einem Drittel
Ganz typisch hingegen: Der größte Teil der Klienten bei der Wittener Wohnungslosenhilfe war im vergangenen Jahr zwischen 20 und 30 Jahren alt (34,3 %). Das liege auch an den Rahmenbedingungen von Hartz IV, erklärt Experte Wegmann: „Ziehen bedürftige Menschen unter 25 ohne Genehmigung des Jobcenters zu Hause aus, drohen finanzielle Sanktionen – und danach oft der Absturz.“
Nur 16 Prozent der Menschen, die zur Wohnungslosenhilfe kamen, hatten zu Beginn der Beratung (noch) eine eigene Wohnung, fast 60 Prozent waren bei Bekannten untergekommen. 23 Menschen lebten in einer Notunterkunft, zehn ganz auf der Straße. Nach Abschluss der Beratung sahen die Zahlen deutlich besser aus: Fast zwei Drittel der Klienten wohnten in einer Wohnung, nur noch zehn in der Notunterkunft, sieben auf der Straße.
Wohnraum in Witten ist oft von minderer Qualität
Die Zahlen der Wohnungsvermittlung seien also sehr positiv, lobt Uli Wegmann. Allerdings beobachtet das Team der Wohnungslosenhilfe Witten, dass der Wohnraum, der zur Verfügung steht, oft von sehr minderer Qualität ist. „Die Wohnungen sind beengt, liegen in einem schwierigen Umfeld und sind im Verhältnis von Preis und Leistung teuer.“
Sorgen bereitet der Wohnungslosenhilfe auch die Situation von EU-Bürgern, die erst seit weniger als fünf Jahren im Land sind und ihren Job verloren haben. Sie hätten häufig keinen oder kaum Anspruch auf Sozialleistungen. „Sie stehen oft vor dem Nichts. Aber es gibt keine Hilfen – das ist für uns ganz schwer zu lösen“, klagt Wegmann. Er warnt, das sei nicht nur ein Problem von Süd- und Osteuropäern. „Wenn die Arbeitslosigkeit jetzt steigt, dann wird das auch Engländer und Franzosen treffen.“
Auch interessant