Witten. Die neue Lust am Kleingarten sieht der Wittener Bezirksverband mit Sorge. Denn viele Interessenten wollten nicht ackern, sondern nur feiern.

Es ist noch nicht lange her, da klagten die Wittener Kleingärtner, ihnen fehle der Nachwuchs: Keiner wolle mehr auf der eigenen Scholle ackern. Die Zeiten sind vorbei: Inzwischen gibt es in den städtischen Anlagen keine freie Parzelle mehr, dafür aber lange Wartelisten. „Jede Woche habe ich mehrere Anfragen“, sagt Jürgen Schie, der Vorsitzende des Bezirksverbandes der Kleingärtner in Witten. Doch der von Corona ausgelöste Boom macht den 70-Jährigen alles andere als glücklich. Denn er fürchtet, dass sich jetzt die falschen Leute melden.

„Die Anrufer suchen keinen Garten, die suchen eine Lücke“, argwöhnt er. Und zwar eine Lücke in den Corona-Vorschriften. „Die wollen einen Ort zum Grillen und Feiern“, das hört Schie am Telefon immer wieder. Am Gärtnern hätten viele der Interessenten überhaupt kein Interesse. „Ich bin damals mit einem Spaten in der Hand gekommen, die haben bestenfalls eine Kühltasche dabei.“

Jürgen Schie und Peter Storck (re.) vom Vorstand des Bezirksverbandes der Kleingärtner in Witten betrachten die Entwicklung mit Sorge.
Jürgen Schie und Peter Storck (re.) vom Vorstand des Bezirksverbandes der Kleingärtner in Witten betrachten die Entwicklung mit Sorge. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Diese Entwicklung betrachtet der Bezirksverband mit Sorge. Zwar brauche man dringend junge Familien in den Anlagen, um die Vereine nicht zu Altersheimen verkommen zu lassen. Auch die Rückbesinnung aufs Landleben und die Natur sehe man eigentlich mit Freude. Doch die Mitglieder müssten eben auch in die Vereinsstruktur passen. „Sonst kann das auf Dauer nicht funktionieren“, sagt Peter Storck, der stellvertretende Vorsitzende. „Wenn wir da nicht aufpassen, fällt uns das bald auf die Füße.“ Statt Anspruchsdenken brauchten die Vereine Gemeinschaftsgefühl. Doch das gehe vielen heutzutage ab. „Rücksichtnahme? Fehlanzeige.“

Ähnlich erlebt das auch Wolfgang Schulte. Der 76-Jährige ist Vorsitzender im Kleingartenverein „Ruhrblick“ und staunt immer wieder über die Vorstellungen derer, die sich melden. „Wir haben da so ein drei Meter Trampolin...“ habe ihm neulich eine Frau gesagt. Schulte hat gleich abgewunken. „Das geht nicht, genauso wenig wie ein riesiger Pool.“ Selbstverständlich könnten Kinder in den Gärten spielen, natürlich werde gegrillt. „Aber im Vordergrund muss immer das Gärtnern stehen – alles andere ist zweitrangig“, betont Schulte. „Sie treten doch auch nicht in einen Golfclub ein und gehen dann mit Pfeil und Bogen hin.“

„Das Gärtnern muss im Vordergrund stehen“, sagt Wolfgang Schulte. Der 76-Jährige ist Vorsitzender des Kleingartenvereins „Ruhrblick“ an der Hevener Straße.
„Das Gärtnern muss im Vordergrund stehen“, sagt Wolfgang Schulte. Der 76-Jährige ist Vorsitzender des Kleingartenvereins „Ruhrblick“ an der Hevener Straße. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Aber manchmal melden sich eben auch die echten Garten-Fans bei dem Vorsitzenden – solche wie Ermelina Hadzidedic. Sie hat sich vor einem Jahr mit ihrem Mann um einen Garten im „Ruhrblick“ in Heven beworben. „Wir waren bei Freunden in der Anlage und haben uns gleich in die Ecke hier verliebt“, sagt sie. Sie hatte Glück und bekam schon bald die Zusage – das war noch vor Corona. Nun in der Krise ist die 37-Jährige besonders froh, dass sie den Schritt gewagt hat, trotz der vielen Arbeit an Beeten und Blumen. „Ja, es ist viel Mühe, aber das ist es wert“, sagt die junge Mutter und zeigt auf die blühende Idylle um sich herum. Mit den Kindern sei sie während des Lockdowns praktisch jeden Tag im Garten gewesen.

Und dort war sie nicht allein: Es sei in der Anlage viel los gewesen in der Corona-Krise, viel mehr als sonst, sagt auch Wolfgang Schulte. So viel, dass die Toiletten gesperrt werden mussten: „Das war mit dem Hygienekonzept sonst nicht mehr zu bewältigen.“ Eine Ermahnung wegen einer Feier habe er aussprechen müssen. „Aber im Großen und Ganzen waren die meisten einsichtig.“

Norbert Morawietz hat im Garten immer etwas zu tun: Nach der Trockenheit harkt er seinen Kartoffelacker.
Norbert Morawietz hat im Garten immer etwas zu tun: Nach der Trockenheit harkt er seinen Kartoffelacker. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Das bestätigen auch die „Ruhrblick“-Mitglieder Annette und Norbert Morawietz. Fast alle hätten sich an die Vorgaben gehalten. Aber das sei ja auch kein Problem: Als Kleingärtner habe man ja in der Corona-Krise auf wenig verzichten müssen. An der frischen Luft sei man ja sowieso. „Und über den Gartenzaun konnten wir immer mit den Nachbarn plaudern – in dieser Zeit ist ein Garten Gold wert.“

900 Gärten in der Stadt

In Witten gibt es sechs städtische Kleingartenvereine mit insgesamt rund 900 Mitgliedern und Gärten. Der älteste ist der Schrebergartenverein Sonnenschein. Die Gärten sind durchschnittlich zwischen 300 und 400 Quadratmetern groß.

Freie Gärten in den Vereinen gibt es derzeit nicht, Interessenten müssen sich in Wartelisten eintragen. Wer einen Garten bekommt, muss mit 400 Euro Kosten für Pacht und Strom im Jahr rechnen. Dazu kommt die Ablösesumme für Pflanzen und Hütte, die kann je nach Zustand des Gartens ein paar Tausend Euro betragen. Erwartet werden außerdem Gemeinschaftsstunden, die im Verein abgearbeitet werden müssen.

Auch der Vorsitzende Wolfgang Schulte hat in der Krise nur wenig vermisst. Wenn ihm etwas fehlt, dann die Treffen mit dem Vorstand. „Persönlich kann man die anstehenden Probleme doch besser besprechen als am Telefon.“

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