Witten. Weil Besuche im Heim nicht erlaubt sind, ahnte Claudia Cohrs nicht, wie schlecht es ihrer Mutter ging. Ihr einsamer Tod belastet die Wittenerin.

Claudia Cohrs trauert um ihre Mutter Elli. Fünf Jahre lebte die alte Dame im Awo-Heim an der Kreisstraße in Annen. "Fast jeden Tag haben wir sie besucht", sagt ihre Tochter. Doch als es nun ans Sterben ging, konnte sie nicht mehr die Hand der 95-Jährigen halten. Wegen des Coronavirus' ist das Heim für Angehörige geschlossen. "Die arme Frau musste ohne mich und meinen Mann zweieinhalb Wochen allein dahin vegetieren und dann einen einsamen Tod sterben", klagt die 59-jährige Tochter. Den Gedanken kann sie kaum ertragen und fragt sich: "Warum hat mich niemand angerufen?"

Seit Besuche im Heim nicht mehr gestattet sind, habe Claudia Cohrs sich immer wieder telefonisch nach dem Zustand ihrer Mutter erkundigt, sagt sie. Die 95-Jährige war nach einem Infekt angeschlagen und fast komplett bettlägerig. Am Mittwoch, 1. April, habe man ihr dann am Telefon gesagt, dass die Mutter Husten habe und Antibiotika bekomme. Sie müsse sich aber keine Sorgen machen. Eine Fehleinschätzung. Keine zwei Tage später, in der Nacht zum Freitag, ist Elli Cohrs gestorben.

Corona-Erlass erlaubt Ausnahmen bei Sterbenden

Die Nachricht erreichte Claudia Cohrs am frühen Morgen. Sie fuhr sofort ins Heim, wurde auch eingelassen und konnte mit ihrem Mann von der Mutter Abschied nehmen. "Dort wurde uns von einer Pflegerin gesagt, dass es meiner Mutter schon am Tag zuvor schon sehr schlecht gegangen sei", erzählt die Wittenerin. Bis zu ihrem Tod in der Nacht habe sie sich sehr quälen müssen. "Darüber bin ich schockiert und todunglücklich", klagt Claudia Cohrs. Mit dem Tod selbst habe man rechnen müssen. "Sie hatte ja ihr Alter." Aber dass sie nicht dabei sein konnte, daran hat die Tochter schwer zu tragen. "Dass man mir nicht Bescheid gesagt hat, das geht gar nicht. Das finde ich unfassbar." Für Sterbende gebe es schließlich ausdrücklich eine Ausnahme-Regelung im Corona-Erlass des Landes.

Ja, die gibt es. "Und sie wird in unserem Haus auch grundsätzlich angewendet", versichert Monika Pytlik, Einrichtungsleiterin im Awo-Seniorenheim in Annen. Zwar würden die Regelungen zum Schutz der Bewohner sehr streng eingehalten, aber in der Sterbephase gebe es selbstverständlich Ausnahmen. "Und wir benachrichtigen die Angehörigen natürlich." Nur: In diesem Fall sei für allen Beteiligten nicht klar gewesen, dass es so rasch zu Ende gehe. "Frau Cohrs war am Tag zuvor etwas schwach, das ja", so Pytlik. Eine Sterbephase sei aber überhaupt nicht erkennbar gewesen. "Und in der Nacht ging es dann sehr schnell. Der Tod kam sehr überraschend", so die Leiterin, die bedauert, dass der Anruf bei der Tochter daher zu spät gekommen sei.

Situation ist auch für Mitarbeiter belastend

Monika Pytlik kann verstehen, dass es für Claudia Cohrs schwer ist, wie es letztlich gelaufen ist. Doch auch für die Mitarbeiter im Heim sei die Situation sehr belastend. "Wir versuchen, die Kontakte nach außen so gut wie möglich aufrecht zu erhalten." Das sei für alle nicht leicht. "Wir sehen ja auch die andere Seite."

Elli Cohrs wird am Donnerstag (9.4.) beigesetzt. Die traurigen Überlegungen, die ihre Tochter jetzt umtreiben, bekommt sie nicht mehr mit. Und Claudia Cohrs hofft sehr, dass das Bewusstsein der 95-Jährigen auch in der Todesnacht schon getrübt war. "Der Gedanke, dass sie da lag und dachte, warum kommt keiner, um meine Hand zu halten, den finde ich furchtbar."

>>>DAS SAGT DER ERLASS DER LANDESREGIERUNG

Besuche in stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind grundsätzlich untersagt, wenn sie nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen erforderlich sind.

Die Einrichtungsleitung soll Ausnahmen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung zulassen, wenn es medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist (z.B. auf Geburts- und Kinderstationen sowie bei Palliativpatienten).

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