Witten. Die angedrohte Ausgangssperre hält viele Wittener offenbar davon ab, an diesem sonnigen Samstag vor die Tür zu gehen. Die City: wie ausgestorben.
Trotz des schönen Frühlingswetters blieben am Wochenende viele Wittener wegen der Corona-Gefahr wie empfohlen zu Hause. Sie gingen höchstens allein oder zu zweit einkaufen oder in die Natur, wo auch einige Familien mit ihren Kindern unterwegs waren. Eine Stadt tritt auf die Bremse, überall war es ruhig, von Hektik keine Spur.
Bei Boni stehen die Kunden am Samstag (21.3.) schon morgens um neun in gebührendem Abstand vor der Tür. Es wird genau kontrolliert, wie viele gleichzeitig ins Geschäft dürfen. Der Biomarkt Alnatura hat im Abstand von zirka 1,50 Meter helle Streifen auf den Boden vor der Kasse geklebt, damit keiner in der Schlange zu dicht beieinander steht. Vor dm in der oberen Bahnhofstraße kontrolliert wieder Sicherheitsmann Kaba (46) den Kundenstrom. Der Handel scheint verstanden zu haben. Wer noch öffnen darf, hält sich in der Regel streng an die verschärften Auflagen der Behörden.
Dass die Stadt am Freitag (20.3.) auch noch jegliche Außengastronomie verboten hat, zeigt ebenfalls Wirkung. Man mag sich nicht ausdenken, was jetzt am Wochenende etwa vor Cafe Extrablatt losgewesen wäre. Bis Freitag saßen dort immer wieder Menschen draußen, tranken Kaffee und steckten die Köpfe zusammen. Vorbei.
Jetzt sitzt erstmals keiner mehr in der Sonne vor Cafe Extrablatt in Witten
Die braunen Biergartenstühle am Berliner Platz sind am Samstag zu einem Haufen gestapelt. Drinnen verlieren sich gerade einmal drei, vier Gäste an Tischen, die weit auseinanderstehen. Auch hierfür kam am Freitag noch eine verschärfte Regelung. Wer sein Lokal (Restaurant) jetzt noch bis 15 Uhr für Gäste öffnen darf, muss nicht nur die Tische weit auseinander
stellen, sondern auch die Stühle. Das führt zu grotesken Bildern. Eine Mann und eine Frau sitzen beim Kaffeetrinken so weit auseinander, dass man glauben könnte, sie besprächen gerade ihre Scheidung. An den anderen Tischen hocken nur ein paar Männer, jeder für sich allein.
Während alle für die Versorgung nicht zwingend nötigen Geschäfte – vom Kaufhof bis zur Stadtgalerie – ebenso wie Cafés, Eisdielen und Kneipen seit Donnerstag (19.3.) aufgrund der Verbote geschlossen sind, dürfen unter anderem Lebensmittelmärkte, Drogerien und Apotheken weiter öffnen. Doch auch dort sieht man am Samstag nur relativ wenige Kunden – und die, die da sind, stehen auch nicht mehr so dicht an der Brot- oder Käsetheke beieinander, wie es vor wenigen Tagen noch der Fall war.
Mindestabstand auf dem Wittener Wochenmarkt? Na ja...
Nur auf dem – ebenfalls noch erlaubten – Wochenmarkt beschleicht einen ein komisches Gefühl, obwohl man an frischer Luft ist. Zwei junge Männer, die Mundschutz tragen, erhoffen sich offenbar das große Geschäft mit Desinfektionsmitteln – und Klopapier! Am Fischstand will der Reporter in diesem Moment nicht stehen. Mehrere Kunden warten ziemlich nah beieinander darauf, bedient zu werden. Da schaut sich Jutta Heyder den Blumenstand, wo sich die Narzissen keck in den kalten Wind recken, lieber aus sicherer Entfernung an.
Gut, zur Wahrheit gehört dazu, dass die 73-jährige Herbederin auf ihren Mann wartet. Aber sie hat die Pflanzen, die sie kaufen will, schon mal ins Visier genommen. Da braucht sie gleich nicht mehr lange auszusuchen. „Ich wollte ein paar Primeln mitnehmen und dann zu Hause den Balkon etwas zurechtmachen“, sagt die frühere Reisebüro-Betreiberin. Keine Corona-Angst, hier unter den Menschen in der City? „Angst nein, aber ich bin sehr vorsichtig.“
Busfahrer fährt von Witten zum geschlossenen Ruhrpark
Angst, die kann sich Busfahrer Andreas Bänkert gar nicht leisten. Gerade hat er Pause, wir treffen ihn am Samstagmittag auf der oberen Bahnhofstraße. „Einer muss den Laden ja am Laufen halten“ sagt der 57-Jährige, der nicht wie andere ins Homeoffice gehen kann. Immerhin bleiben die Sitze hinter ihm – „bis zum Entwerter“ – mit Flatterband abgesperrt. Auf seinem 379er von Bommern zum Ruhrpark befördert er momentan vielleicht noch die Hälfte der sonst üblichen Fahrgäste. „Der Ruhrpark ist ja zu.“
Die Einkaufsmeile ist recht leer, gegen zwölf Uhr sind vielleicht noch 60 bis 80 Menschen in der Bahnhofstraße unterwegs, viele alleine, manche zu zweit. Eine Frau trägt Mundschutz, als sie bei Bäcker Schickentanz am Tresen steht. Teilke Schäfer (83) macht mit ihren zwei großen Einkaufstaschen gerade eine Verschnaufpause in Höhe des Wochenmarkts.
Sie hat sich draußen auf den Stuhl vor einem Bäcker gesetzt, dort, wo sie wegen der verbotenen Außengastronomie gar nicht sitzen dürfte. Prompt kommt auch jemand aus dem Laden und weist die Seniorin auf das Verbot hin. Die Angst vor Strafen ist groß. Denn das Ordnungsamt kontrolliert die Einhaltung der Auflagen.
83-jährige Wittenerin macht ihre Einkäufe trotz Corona-Gefahr noch selbst
Teilke Schäfer (83) hat sich trotz ihres stolzen Alters aus dem Haus getraut. „Ich geh aber nur auf den Markt, sonst nirgendwo mehr hin. Eine Schlange im Supermarkt tu ich mir nicht an.“ Überhaupt sind noch auffällig viele ältere Menschen unterwegs. Ganz will sich die Seniorin aus dem Johannisviertel ihren eigenen Einkauf nicht nehmen lassen. „Ich will nicht so isoliert sein und bewegen muss ich mich ja auch.“