Witten/Hattingen. Nach 86 Jahren bleibt der Friseursalon Paul Brauckmann im Wittener Hammertal für immer geschlossen. Der Inhaber geht in Rente – mit 73 Jahren.
So ein langes Berufsleben ist heutzutage unvorstellbar: Nach fast 60 Jahren hat sich Friseurmeister Paul Brauckmann in den Ruhestand verabschiedet und seinen Salon zum 1. Januar 2020 geschlossen. Mit 14 Jahren hat er im elterlichen Geschäft im Hammertal angefangen, mit 73 nimmt er sich nun Zeit – für die Freizeit.
Der Salon gegenüber des Rewe-Marktes sieht aus, als wären gerade erst die Scheren eingepackt, die Haare weggefegt, die Föhnhauben abgestellt und die letzten der meist älteren Kundinnen verabschiedet worden. Der Duft nach Shampoo ist allgegenwärtig. Kein Wunder – 86 Jahre lang gab es den „Salon Brauckmann“ im Hammertal.
Auch zwei Angestellte gehen in Ruhestand
Bis zum letzten Arbeitstag herrschte Hochbetrieb. „Neunzig Prozent unserer Kunden kamen 45, 50 Jahre regelmäßig zu uns“, sagt Paul Brauckmann. „Dementsprechend hoch war in den letzten Tagen die Wertschätzung, viele Kunden waren sehr betroffen.“ Der 73-Jährige steht lässig im Salon, die Hände in den Hosentaschen. Der Friseurmeister wirkt weit jünger. Warum hat er sich nun entschlossen, aufzuhören?
„Bislang fühlte ich mich immer noch fit und habe einfach weitergemacht“, erzählt er. Dann fragte ihn eine Stammkundin: „Willst du warten, bis du schwer krank bist?“ Der Satz blieb im Kopf. Paul Brauckmann zog nun den Schlussstrich, zumal zwei seiner drei Angestellten mit ihm in den Ruhestand gegangen sind. „Jetzt muss ich lernen, auch mal eine Stunde zu verbringen, ohne was zu tun. Bislang hatte ich dann immer ein schlechtes Gewissen, das ist wirklich eine Schwierigkeit für mich.“
Paul Brauckmann zeigt ein Foto aus dem Gründerjahr: Sein Vater – Paul Brauckmann sen. – lehnt lässig am Türrahmen seines 1933 eröffneten Geschäfts. „Bubikopfschneiden“ wirbt neben ihm ein Schild im Schaufenster. Der Salon befand sich im „Pleigerhaus“ neben der Sparkasse, dort hat heute eine Ärztin ihre Praxis. Im Salon gab es einen Stuhl, einen Spiegel, ein Waschbecken und die Föhnhaube. Das Sitzkissen des Stuhls konnte man umdrehen – so hatte der nächste Kunde kein warmgesessenes Polster. Auch Brauckmanns Mutter arbeitete mit im Geschäft, das nach einer Zwischenstation 1954 in das Haus Hammertal Nr. 76 umzog.
Teilnahme am „Schau- und Preisfrisieren“
Ihr Sohn Paul wuchs dort auf – und quasi in den Beruf hinein. Mit 14 Jahren hatte er keine Lust mehr, morgens um sechs aus dem Haus zu gehen, um mit zig Mal Umsteigen zur Realschule in die Bochumer Innenstadt zu fahren. Nach Lehr- und Gesellenjahren absolvierte er schon mit 20 die Meisterprüfung. Zudem bemühte er sich um einen guten Ruf – indem er sonntags am „Schau- und Preisfrisieren“ teilnahm. Auch bei den Deutschen Meisterschaften und den Westfalenmeisterschaften kämpfte er um den Titel. Für den ersten Platz reichte es nicht, „aber ich habe dort gelernt, schnell und handwerklich gut zu arbeiten“.
Unklar, was aus Geschäftslokal in Witten-Hammertal wird
Paul Brauckmann erinnert daran, wie sehr sich das Friseurgewerbe verändert hat. Seine Mutter hat mit dem Ondulationseisen Haare in Wellen gelegt. Es folgte die Zeit der Wasserwellenklammern und der Lockenwickler. Unter der Haube wurde das Haar getrocknet und morgens auftoupiert. Als „Revolution“ wertet Brauckmann die Arbeit von Vidal Sassoon. 1963 erfand der Engländer den geschnittenen Bob. „Sassoon hat den Friseuren wieder das Haareschneiden beigebracht. Die Kunden föhnen sich selbst zuhause.“ Bis heute habe sich daran wenig geändert: Alle vier oder sechs Wochen kommen die Kunden zum Haareschneiden, und das muss nicht länger nur samstagmorgens sein, weil man abends zum Ausgehen ein hübsches Köpfchen braucht. „Die Frauen von heute gehen mit der gleichen Frisur Silvester feiern und zum Sport.“
Immer mehr Friseurgeschäfte
Die Zahl der Friseurgeschäfte steigt. Vor 15 Jahren gab es in Deutschland etwa 50.000 Friseurgeschäfte, heute sind es rund 80.000. Dabei kümmern sich die Leute weniger um ihr Haar.
„Früher sind die jungen Männer spätestens alle vier Wochen zum Friseur gegangen. Der Nacken musste frei sein“, berichtete zum Beispiel Friseurmeister Klaus Stumph. Er hatte zum 1. Januar 2019 nach 64 Berufsjahren seinen Salon an der Hammerstraße verkauft und ging mit 79 in Rente.
Was aus seinem Geschäftslokal wird, weiß der Hammertaler noch nicht. „Ich habe noch so viel Bürokram zu erledigen, dass ich das aufschiebe.“ Würde sich ein neu eröffnetes Friseurgeschäft im kleinen Hammertal denn halten? „Unsere Kunden kamen aus einem großen Umkreis, aus Sprockhövel, Hattingen oder Bochum. Ich behaupte: Wenn man gut ist, kommen die Kunden auch.“
Wer schneidet ihm selbst denn die Haare? „Bislang hat das eine der Angestellten gemacht. Diejenige, die gerade Zeit hatte.“ Für die Zukunft heißt das: Auch Paul Brauckmann muss sich einen neuen Friseur suchen.