Witten. Das Wittener Ehepaar Paul und Ursula Güntermann schnürt regelmäßig seine Rücksäcke. Auf Pilgerpfaden finden die Hevener ihre Erfüllung.

Sagenhafte 15.000 Kilometer sind Paul Güntermann und seine Frau Ursula schon zu Fuß gelaufen. Auf Jakobswegen in Europa, die sie nicht nur nach Rom und Santiago de Compostela in Spanien, sondern auch von Litauen über das russische Kaliningrad die polnische Ostseeküste entlang bis zur Insel Usedom führten. Auch im neuen Jahr werden Güntermanns wieder ihre Rucksäcke schnüren und in Portugal von Lissabon bis Porto laufen und hierbei – wie immer – neugierig auf schöne Landschaften und menschliche Begegnungen sein.

Was gab den Anstoß für die Wander-Leidenschaft der Hevener? Religiöse Gründe? Paul Güntermann, der wie seine Frau aktives Mitglied der katholischen Kirchengemeinde St. Franziskus ist, schüttelt den Kopf. „Nein“, sagt der 67-Jährige. Früher seien seine Frau und er mit den Töchtern und dem Sohn nach Skandinavien gereist, auf die dänische Insel Læsø. Dann waren die Kinder groß und die Eltern schlugen andere Reisewege ein.

Wittener: „Wir waren anfangs als Wanderer, nicht als Pilger unterwegs“

Auf einer Europakarte, die in ihrem Haus hängt, zeichnen Ursula und Paul Güntermann ihre Wanderstrecken ein, die sie schon zurückgelegt haben. Im neuen Jahr wollen sie in Portugal von Lissabon bis Porto laufen.
Auf einer Europakarte, die in ihrem Haus hängt, zeichnen Ursula und Paul Güntermann ihre Wanderstrecken ein, die sie schon zurückgelegt haben. Im neuen Jahr wollen sie in Portugal von Lissabon bis Porto laufen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die Lust, auf Jakobswegen unterwegs zu sein, wurde bei den Güntermanns an Fronleichnam 2004 geweckt. Da machten sie einen Ausflug ins Bergische Land zum Altenberger Dom. In der Dom-Buchhandlung entdeckten sie ein Buch über die Jakobswege im Rheinland. Eine Anregung für Wanderetappen, die sie an Wochenenden zunächst von Wuppertal-Beyenburg in Richtung Köln führten. „Wir waren anfangs als Wanderer, nicht als Pilger unterwegs“, betont Paul Güntermann, der bis zu seiner Pensionierung Französisch- und Sportlehrer am Gymnasium in Hattingen-Holthausen war.

2005 zog es seine Frau und ihn nach Frankreich. Von der Mosel-Gemeinde Apach ging es zu Fuß bis in die baskische Kleinstadt Saint-Jean-Pied-de-Port – dem Startpunkt des Camino Francés, der bei Pilgern bekannteste aller Jakobswege in Europa. Was die 62-jährige Ursula Güntermann auch bei späteren Wanderungen auf Jakobswegen in Frankreich begeisterte: „Dort gibt es Familien, die Pilger bei sich zu Hause beherbergen. Pro Person zahlt man zwischen 25 und 40 Euro und wird vom Gastgeber voll verpflegt. Familienanschluss inklusive!“

Wittener Pilger: „Wir sind ein altes Paar und haben unseren eigenen Rhythmus“

Kunst am Wegesrand: Paul Güntermann auf dem spanischen Bergzug Alto del Perdón, der nahe Pamplona liegt. Der Alto del Perdón ist der Übergang des Jakobswegs Camino Francés über die Sierra del Perdón in der Autonomen Gemeinschaft Navarra.
Kunst am Wegesrand: Paul Güntermann auf dem spanischen Bergzug Alto del Perdón, der nahe Pamplona liegt. Der Alto del Perdón ist der Übergang des Jakobswegs Camino Francés über die Sierra del Perdón in der Autonomen Gemeinschaft Navarra. © Güntermann

Die Hevener sind auf den Jakobswegen meist zu zweit unterwegs. „Wir sind ein altes Paar und haben unseren eigenen Rhythmus“, erklärt Ursula Güntermann. Ihr Mann nickt, der mit ihr alleine auch auf der Via Baltica von Bansin auf der Ostseeinsel Usedom bis zur Hansestadt Lübeck unterwegs war. Und auf dem Camino del Norte von der französischen Stadt Hendaye bis in die spanische Stadt Santiago de Compostela – mit ihrer Kathedrale eines der bedeutendsten Pilgerziele der Christenheit, neben Jerusalem und Rom.

Santiago de Compostela – das letzte große Ziel der Pilger auf dem Jakobsweg – haben Güntermanns zum ersten Mal am 25. Juli 2006 beim Jakobsfest erlebt. „Menschenmassen, Halligalli. Das war eine große Kirmes, die uns nach den vielen Kilometern in relativer Ruhe abgestoßen hat“, sagen sie.

Paul Güntermann schildert, was die langen Wanderungen, auf denen Tausende von Fotos entstanden, mit ihm machen. „Beim Laufen kommt man in eine Meditation hinein. Entweder denkt man an nichts oder man entdeckt schöne oder schreckliche Seiten an sich selbst.“ Die Wittener sind auch nach Rom gewandert – über das französische Arles und Genua. Ursula Güntermann: „Wir sind dankbar, dass wir das alles erleben dürfen. Man denkt immer: Wie schön ist die Welt, dieser Tag, dieser Augenblick.“

In die Rucksäcke der Wittener kommt nur, was dringend notwendig ist

So ging es dem Paar auch, als es vor zwei Jahren zu Fuß in mehreren Ferienetappen vom ungarischen Budapest über Bratislava, Hauptstadt der Slowakei, nach Wien und Salzburg über Genf zur französischen Stadt Le Puy-en-Velay (Auvergne) ging, die Dreh- und Angelpunkt vieler Wanderwege ist, die sich dort kreuzen.

2006 standen die Güntermanns im Ort Fisterra an der Westküste von Galizien im Nordwesten Spaniens. Bis Santiago de Compostela sind es keine 100 Kilometer. Das Kap Fisterra liegt am Ende einer Landzunge, die sich von Fisterra nach Süden erstreckt. Das Kap hielten die Römer einst für das Ende der Welt.
2006 standen die Güntermanns im Ort Fisterra an der Westküste von Galizien im Nordwesten Spaniens. Bis Santiago de Compostela sind es keine 100 Kilometer. Das Kap Fisterra liegt am Ende einer Landzunge, die sich von Fisterra nach Süden erstreckt. Das Kap hielten die Römer einst für das Ende der Welt. © Güntermann

2015 sind Güntermanns zu einer Wanderung in Paris gestartet. Ihr Weg führte sie ins französische Tours. „Wir sind morgens ums 7 Uhr durch Paris gegangen. Es war total ruhig. Es war faszinierend, die sonst so pulsierende Metropole zu erleben“, erinnert sich Ursula Güntermann. Sie und ihr Mann sind dankbar, dass ihnen auf all ihren Wegen nie etwas zugestoßen ist. Sie planen ihre Wanderetappen, in der Regel 25 Kilometer am Tag, buchen ihre Unterkünfte vor, laufen mit Wanderstöcken, packen in ihre Rucksäcke nur, was absolut notwendig ist.

In Polen klopften sie bei Sturm an eine Haustür und wurden hineingebeten

Schwere Stürme und Gewitter seien schrecklich, erzählen sie. Das haben sie unter anderem in Polen erlebt, wo sie deswegen an einer Haustür anklopften. Eine deutsche Frau öffnete ihnen, bat sie herein. Die Wanderer wurden zum Essen eingeladen. Eine Begegnung, die sie noch heute strahlen lässt. Paul Güntermann führt bei seinen Reisen Tagebuch. „Da notiere ich auch Ideen und Gedanken, die ich hatte.“

So backt man eine Santiago-Torte

Ein Tipp von Ursula Güntermann: die Santiago-Torte. Die Zutaten: 100 g Butter, 100 g Zucker, 6 Eier, 200 g Mandeln (gemahlen), 1 Essl. Zimt, 1 Essl. abgeriebene Zitronenschale, Puderzucker.

Und so wird’s gemacht: Die weiche Butter mit dem Zucker verrühren. Die Eier zugeben, ebenso die Zitronenschale, Mandeln und Zimt. Die Teigmischung in eine gefettete Form geben und goldgelb backen. Den abgekühlten Kuchen in Stücke schneiden. Die Herd-Einstellung: Heißluft 150-170 Grad, 1. Schiene von unten, 30-40 Minuten backen. Oder: Ober-/Unterhitze: 180-200 Grad, 2. Schiene von unten, 30-40 Minuten backen. Guten Appetit!

Was das Paar auf seinen Wanderungen immer erlebt: „Menschen sehen uns, gehen ein, zwei Kilometer mit und erzählen uns ihre Probleme. Dann sind sie wieder weg.“ Als Pilger bezeichnen sich die Eheleute nur, wenn man diesen Begriff weit fasst, sagt Paul Güntermann. „Wenn man dies als Suche nach sich selbst betrachtet, als Begegnung mit Menschen und der Natur.“ Dann fügt der 67-Jährige mit Blick auf seine Frau lächelnd hinzu: „Die Erinnerungen an unsere Reisen haben unser Leben ungemein bereichert.“