Witten. Ruud van Laar ist Wittens König des Scheiterns: 40-mal ging er mit Gastronomie oder Disco pleite und macht dennoch weiter. Etwa in der Werkstadt.

Über Ruud van Laar sollte man ein Buch schreiben. Immerhin haben schon etliche Zeitungen über den aus Utrecht stammenden Kult-DJ berichtet, sogar das DDR-Blatt „Neues Deutschland“ schildert in den 70er Jahren die unzüchtige Atmosphäre in einem seiner psychodelischen Discos, mit Marihuana in der Luft, die ausgezeichnete Musikanlage spielte Rock’n’Roll und Soul oder Bepop. Ruud ist Wittens König des Scheiterns, 40 mal ist er in seinem Leben pleite gegangen. Er verdient aber auch eine Krone für seinen Lebensmut. Auch mit 76 Jahren legt er noch auf – zum Beispiel am Samstag in der Werkstadt bei „Open Ears“.

Wenn der kleine, grauhaarige Mann im Kapuzenpulli seine Koffer mit den etwa 500 CDs aufbaut, dann herrscht ein Hauch von Woodstock im Kulturzentrum an der Mannesmannstraße. Etwa 50 Stammgäste begleiten Ruud seit dessen Anfängen als DJ vor bald 50 Jahren. Sie sind auch Fans seines einzigartigen Stils: „Sie freuen sich bei mir etwas zu hören, was sie sonst nicht hören“, sagt Ruud. Mainstream, Charts, so etwas gibt es bei ihm nicht. Dafür auch mal ruhige Stücke oder ein swingendes Saxophon-Solo. „Ich beobachte die Leute vorher und konzentriere mich auf die Frauen“, verrät er. „Du musst die Frauen kriegen, denn die sind es die zuerst tanzen und dann wird die Party gut.“

Der Wittener DJ Ruud van Laar heute, mit 76 Jahren.
Der Wittener DJ Ruud van Laar heute, mit 76 Jahren. © Ruud van Laar

War sein Leben gut? Das ist Ansichtssache. Rudd van Laar lebt von einer winzig kleinen Rente, er hält sich über Wasser mit kleinen Nebenjobs und kann so auch noch seine jüngste Tochter unterstützen. „Ich bin stolz, nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein“, sagt er. Er bereue nichts.

Wasserskischule in Lloret de Mar

Mit 14 hat er die Schule geschmissen, mit 15 lief er von Zuhause weg. 1963 verschlug es ihn ins spanische Lloret de Mar, wo er zusammen mit einem Freund eine Wasserskischule eröffnete. Ein englischer Soldat, ein begnadeter Wasserskiläufer lud ihn nach England ein. Im Swinging London bekam der Holländer alle modischen Strömungen mit. „Das war eine kulturelle Explosion“, sagt er.

London habe seinen Musikgeschmack geprägt, aber auch die Kindheit. Als Teenager sei er Jazz-Fan gewesen, mit seiner Mutter tanzte er Tango, danach begnadet gut Rock’n’Roll. „Ich war klein, schielte und hatte Minderwertigkeitskomplexe“, erzählt er. „Da habe ich mir etwas gesucht, womit ich auffalle.“ Als Tanzpartner war er bei den Mädels heiß begehrt. „Irgendwie fange ich den Beat gut auf.“

Sinatra für den Klammerblues

Weil sein Kumpel eine Dortmunderin schwängerte, fand er 1967 den Weg ins Ruhrgebiet. Im Gepäck: Moderne Musik und eine Vorstellung vom Beruf des Disc Jockeys, den es hier noch nicht gab. Zunächst schlug er sich als Süßwarenvertreter durch, verlor seinen Führerschein aber wegen Trunkenheit. Erwischt wurde er ausgerechnet am Tag der Geburt seiner Tochter. Van Laar startete in die Selbstständigkeit. Er machte Musik und eröffnete eigene Discos und Kneipen. Er legte Rock’n’Roll auf, Hendrix und die Stones „und zwischendurch Sinatra für den Klammerblues“.

Seine Discos in Dortmund trugen Namen wie „Die Pille“ (als Reaktion auf das Verbot der Pille durch den Papst), im „Fantasio“, in dem auch Rockbands wie „Yes“ oder „Black Sabbath“ spielten, oder im „The Sun is Rising in Your Brain“, das wie ein Gehirn eingerichtet war. Die Kundschaft hatte auch stets „großes Interesse an lecker Haschisch“, sagt van Laar, der beteuert sich nie aktiv am Drogenhandel beteiligt zu haben. „Ich war echt ein bunter Vogel, hab’ gesoffen wie nix.“

Vielfalt an tanzbarer Musik

Die Werkstadt hat Ruud van Laar ein eigenes Discoformat gegeben: die „Open Ears-Party“. Für „Menschen mit offenen Ohren“ bietet der 76-Jährige musikalische Raritäten, gemischt mit bekannten Hits verschiedenster Genres. Abwechslung ist hierbei das oberste Gebot.

Beginn ist am Samstag, 16.11., um 20 Uhr. Der Eintritt kostet an der Abendkasse 6 Euro.

Seine Clubs musste Ruud jedoch immer bereits nach kurzer Zeit wieder schließen: „Ich bin mindestens 40 Mal pleite gegangen. Was mich aber nicht davon abgehalten hat, immer weiter zu probieren.“ Er wollte stets junge Bands unterstützen. „Aber wenn nur zehn Leute kommen, um eine unbekannte Band zu hören, kannst du nicht überleben.“

Mit 38 Jahren, nach einer Stippvisite im Knast, hat er das Rauchen und Trinken aufgegeben. Ruud van Laar ging es etwas ruhiger an, führte in Witten von 1988 bis 92 das Landhaus Muttental, bis es abgerissen wurde und danach zehn Jahre lang das Haus Rauendahl – auch mit diesen Lokalen ging er pleite. Seit 2008, als Rentner, legt er als DJ in der Werkstadt auf, etwa bei der „Ü50-“ oder der „Silverparty“. Sechs Kinder hat er, ihnen helfe er oft und gerne.

Weswegen hat eigentlich das „Neue Deutschland“ über ihn berichtet? „Eigentlich kamen die, weil in meiner Disco der Weltrekord im Dauertanzen aufgestellt wurde“, erinnert sich der 76-Jährige. „Aber anschließend haben die nur darüber geschrieben, wie schlimm es in West-Deutschland zugeht.“