Witten. Um chronische Rückenschmerzen ging es beim Wittener WAZ-Medizinforum. Patienten sollten durchaus Medikamente nehmen, wenn das Kreuz weh tut.
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Nach Infekten sind Rückenschmerzen die häufigste Ursachen, warum Menschen einen Arzt aufsuchen. Schon zwischen 30 und 60 Jahren leiden bis zu 80 Prozent der Erwachsenen darunter. Wo die Schmerzen herkommen, was man dagegen tun kann – und warum auch eine medikamentöse Therapie durchaus sinnvoll sein kann, erläuterten Mediziner des Evangelischen Krankenhauses (EvK) am Mittwoch beim WAZ-Medizinforum.
49 Milliarden Euro: So teuer kommen Deutschland die Rückenschmerzen jährlich zu stehen, erläuterte Dr. Michael Luka, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, in seinem einleitenden Vortrag den rund 150 Zuhörern im ausgebuchten Saal. Damit seien die Erkrankungen durchaus ein volkswirtschaftliches Problem. Bei über der Hälfte der Patienten bestehe ein Zusammenhang mit dem Beruf. Die Folge: Mehr als 60 Prozent der Kur- und Invaliditätsanträge würden wegen Rückenschmerzen gestellt.
Dabei könnten die Schmerzen viele Gründe haben. Zu den häufigsten Ursachen zählten organische oder auch Fehlbelastungen und -haltungen. Schmerzen könnten auch durch Verletzungen – etwa einen Wirbelkörperbruch – entstehen, durch Abnutzung wie bei Arthrose oder einem Bandscheibenvorfall. Manchmal seien auch die Gefäße der Grund, etwa bei Durchblutungsstörungen des Rückenmarks.
Man sollte seine Gefühle ausleben, das ist besser für den Rücken
Und schließlich gebe es auch psychosomatische Ursachen. Luka: „Man kann etwas buchstäblich nicht mehr ertragen.“ In Angst- und Stresssituationen könnten Rückenschmerzen so eine Art Schutzmechanismus sein – und der ende oft in einem Teufelskreis. Der Schmerz führt zu Stress und der dann zu neuem Schmerz. Wie man daraus ausbrechen kann? Der Chefarzt rät, Gefühle rauszulassen. „Menschen, die Aggression, Wut oder Trauer ausleben, sind siebenmal weniger gefährdet, Rückenschmerzen zu bekommen, als die anderen.“
Die „Multimodale Schmerztherapie“, die beim Medizinforum vorgestellt wurde, stehe zwischen der ambulanten Behandlung in der Arztpraxis und der Therapie im Krankenhaus. „Es geht darum, Operationen zu vermeiden“, so Luka. Sein Kollege, Dr. Thomas Meister, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, führte aus, warum bei dieser Therapie Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Denn mit ihnen würde der Schmerzkreislauf durchbrochen. Die Patienten könnten für die Physiotherapie mobilisiert und so wieder aktiv werden.
Sinnvolle Wirkstoffe könnten dabei Nicht-Opiate wie Novalgin, aber auch Opiate sein, so Meister. Sorgen um gravierende Schäden durch die Einnahme müsse man sich nicht machen. Novalgin habe deutlich weniger Nebenwirkungen als etwa Ibuprofen oder Diclofenac.
Nach zwölf Wochen ist es chronisch
Die Symptome von Rückenschmerzen sind anfangs oft unspezifisch. Dazu gehören Verspannungen, Morgensteifigkeit und Schwäche. Von chronischen Rückenschmerzen spricht man, wenn die Symptome länger als zwölf Wochen anhalten.
Für die Diagnose sind neben der körperlichen Untersuchung häufig ein CT oder ein MRT nötig, so Dr. Luka. Röntgenaufnahmen würden heute meist nur noch nach Unfällen zum Ausschluss von Brüchen gemacht.
Und auch Opiate seien weder organschädigend noch würden sie – als Tablette in der Schmerztherapie verabreicht – eine Sucht auslösen, sagte der Chef-Anästhesist. Sogar eine ärztlich überwachte Kombination aus beiden Mitteln könne sinnvoll sein, da beide an unterschiedlichen Stellen der Schmerzwahrnehmung im Körper ansetzten.
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„Vertrauen Sie Ihrem Doktor, wenn er Ihnen Medikante verschreibt!“
Bei Beschwerden durch neuropathischen Schmerz, also Nervenschmerz, bei dem gängige Mittel kaum oder gar nicht wirken, nahm Meister den Zuhörern auch die Angst vor Anti-Epileptika oder Anti-Depressiva. Sie würden in der Schmerztherapie sehr viel niedriger dosiert, hätten sich aber in vielen Fällen als sehr wirksam erwiesen. Der Mediziner schloss mit einer Bitte: „Vertrauen Sie Ihrem Doktor, wenn er Ihnen Medikamente verschreibt. Sie sind ein sinnvoller Baustein der Therapie.“
Denn wenn man die Medikamente nicht nimmt, könnten die Schmerzen chronisch werden, erklärte der niedergelassene Arzt Dr. Peter Koch aus der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis am Centrovital. Immer mehr Nerven würden dann durch den Schmerz verschaltet, das Areal für die Empfindung im Hirn werde größer. Die Folge: Der Schmerz selbst werde schließlich zur Krankheit.
Dieser Kreislauf müsse durchbrochen werden, so Koch. Neben Tabletten seien auch Spitzen in der Therapie sinnvoll. Ein Betäubungsmittel werde dabei zusammen mit Cortison, das abschwellend und entzündungshemmend wirke, in die Wirbelgelenke gespritzt. Das könne ambulant in der Praxis gemacht werden. Nur eine epidurale Betäubung, also eine im Rückenmarkskanal, müsse in der Klinik erfolgen, da es zu vorübergehenden Lähmungen kommen könne.
„Chronische Leiden brauchen eine chronische Therapie“
Mit diesen Mitteln würden die Patienten zwar nicht auf Dauer schmerzfrei sein, ihre Beschwerden aber für eine Weile gelindert. Der niedergelassene Arzt betonte jedoch ausdrücklich: „Chronische Leiden brauchen eine chronische Therapie.“
Tröstliches hatte schließlich Linus Paelke zum Schluss parat, er leitet die Physiotherapie im EvK. Auch im hohen Alter mit einem kaputten Rücken könne es einem noch gut gehen. Denn neben den organischen Befunden gebe es noch viele andere Faktoren, die den Schmerz beeinflussen. Wichtig sei, dass die Betroffenen wissen, wie sie selbst – und unabhängig vom nächsten Arzttermin – auf ihre Beschwerden einwirken könnten. „Denn dann kommen sie am besten damit klar.“