Witten. Der Wittener Mieterverein feiert sein 100-jähriges Bestehen. In dieser Zeit ist viel passiert. Interessante Details verrät eine Festschrift.
Beinahe endlos stapeln sich die Aktenordner im Büro des Mietervereins an der Schillerstraße in den Regalen. „Prozess“, „Vollmachten“, „Gutachten“ steht darauf. Oder auch „LEG“ und „Annington“. Bald kommt noch ein anderes Werk hinzu: Historiker und Vorstandsmitglied Ralph Klein hat eine Festschrift zum Jubiläum verfasst. Auf den Tag genau 100 Jahre ist es her, dass sich die Wittener Mieter organisierten.
„Die Wohnung ist keine Ware“ lautet der Titel der Schrift. Und Klein verweist gleich darauf, dass die Überschrift eines WAZ-Artikels über eine Jahreshauptversammlung im Jahre 1963 so lautete. Das habe ihm gut gefallen, sagt der 64-Jährige. Ihm und Knut Unger (60), Sprecher des Vereins, ist es eine Herzensangelegenheit, sich um die Belange der Mieter zu kümmern. Beide engagieren sich schon seit den 80er Jahren.
„In meiner Studenten-WG gab es immer Stress mit dem Vermieter“
„Ich bin 1985 eingetreten“, sagt Klein. Warum? Er lächelt: „Ich habe in einer WG gelebt.“ Da habe es immer Stress mit dem Vermieter gegeben. „Studenten sind ja schließlich unzuverlässig und putzen nicht ordentlich.“ Unger wurde Mitglied, weil seine Eltern dies schon waren. 1986 war es, als er und Klein dem Mieterverein wieder zu neuem Glanz verhalfen.
Es gab zu dieser Zeit zwar 1000 Mitglieder, aber nur eine lose Kartei, kein richtiges Büro, 18 Jahre lang keine Mitgliederversammlungen, keine Anwälte für die Zusammenarbeit. „Wir haben den Verein aus dem Nichts schnell wieder aufgebaut“, so Unger, „haben ohne Vorkenntnisse Leute beraten“.
„Über den Mieterverein haben wir die Möglichkeit, Politik zu machen“
Die Hausbesetzerszene der 80er Jahre, die etwa das Gebäude an der Bahnhofstraße 54 mit Beschlag belegte, hatte eine neue Generation hervorgebracht. „Es gab Demos mit zum Teil 2000 Leuten“, so Klein. Für sie sei es eine Möglichkeit gewesen, über den Mieterverein Politik zu machen, sagen Unger und Klein. Noch heute sehen sie sich als eine Art Gewerkschaft im Wohnungssektor. Unger: „Wir können nur gewinnen, wenn wir gemeinsam handeln.“
Die ersten Mietervereine wurden um 1880 gegründet und hießen damals noch Mieterschutzvereine, weiß Ralph Klein – „als Reaktion auf die sehr gut organisierten Vermieterverbände“. Nach dem ersten Weltkrieg dann habe es eine Gründungswelle gegeben, dennoch sei der Wittener Verein einer der ersten in der Region gewesen. „Die Probleme für Mieter waren zu dieser Zeit gigantisch.“ Es gab keinen öffentlichen Wohnungsbau, kein Geld für Reparaturen. Viele konnten die Miete nicht mehr zahlen, weil der Ernährer an der Front geblieben war.
Historisches besitzt wieder Aktualität
Ungewöhnlich: Die Wittener ließen sich sofort als Verein eintragen. Unger: „Das sprach für den Willen, eine ernsthafte Organisation gründen zu wollen.“ Weitere Mietervereine gab es in Annen, Bommern, Heven und Stockum.
Geburtstagsfeier für Mitglieder im Matchball
Der Wittener Mieterverein feiert genau 100 Jahre nach der Gründung am 19. Oktober 1919 seinen 100. Geburtstag an diesem Samstag. Alle Mitglieder sind ab 16 Uhr ins Clubhaus Matchball an der Jahnstraße 11 eingeladen. Dann gibt es Kaffee und Kuchen und Unterhaltung für Kinder.
Ab 18 Uhr wird Ralph Klein seine Forschung zur Geschichte vorstellen, die er in einer Festschrift dokumentiert hat. Sie heißt „Die Wohnung ist keine Ware“, kostet fünf Euro und ist im Buchhandel zu haben sowie im Büro des Mietervereins an der Schillerstraße 13.
Ralph Klein hat sich für die Chronik systematisch durch Archivmaterial gearbeitet und Unmengen gelesen. Manches Historische habe ihn angesichts der Aktualität überrascht, etwa dass die Grundsteuer schon seit 1923 auf die Miete umgelegt wird. Gegen die extrem hohe Steuer, gerade in Witten, werde heute noch protestiert. Überhaupt: die teilweise horrenden Mieten. „Diese Belastung zieht sich durch die Geschichte.“
Heute hat der Verein über 3000 Mitglieder. „Wir sind eine der größten Organisationen in der Stadt“, betont der Vorsitzende. Und es gibt weiterhin viel zu tun, verweist Knut Unger auf die Wohnungsnot und die ständigen Auseinandersetzungen mit den „Mieterhöhungsmaschinen“, wie er die großen finanzmarktorientierten Vermieter nennt. Der Mieterverein, sagt Klein, sei in der Gegenwart und Zukunft so notwendig wie eh und je.