Witten. Nachhaltigkeit wird immer wichtiger, auch in Bäckereien: Der Traditionsbetrieb Weidler möchte Kunden dazu bewegen, auf Verpackung zu verzichten.
Als Christine Weidler (53) ihre Mutter in Thüringen besucht, fällt es ihr sofort auf: Beim Brötchenkaufen in der Dorf-Bäckerei hat jeder Kunde seinen eigenen Tragebeutel. „Das ist dort seit DDR-Zeiten so üblich. Ich dachte mir, dass das auch in unseren Läden möglich sein müsste“, erklärt die Inhaberin der Bäckerei Weidler, die in Witten vier Filialen an der Annenstraße, Hauptstraße und Sprockhövler Straße zusammen mit ihrem Mann Dieter Weidler (63) führt.
Die Umweltkarte sei ein Geistesblitz gewesen: Bringen die Kunden ihren eigenen Beutel mit, bekommen sie einen Stempel. Bei zehn Stempeln gibt es zwei Brötchen gratis, bei zwanzig Stempeln ein Brot. Inzwischen haben die Leute auch ihre eigenen Ideen. Nicht nur der klassische Leinbeutel kommt zum Einsatz. Auch Plastik- und Papiertüten können mehrmals verwendet werden. Für Kuchenstücke oder Gebäckteilchen sind Tupperdosen optimal.
Plastiktüten werden ausgemustert
Leinenbeutel verkauft Christine Weidler auch, allerdings ohne Eigendruck: „Die Farbe wäre ja auch nicht nachhaltig. Außerdem haben die meisten Leute schon ihre eigenen Beutel. Der einzige Knackpunkt ist, dass sie ihre Tragetasche nicht zuhause vergessen“. Auf Plastiktüten möchte der 1952 in Witten gegründete Familienbetrieb in Zukunft verzichten. Die letzten Restposten werden verbraucht, danach gibt es nur noch Papiertüten.
Auch Plastiktüten sind wiederverwendbar
Einige Fakten zur Plastiktüte: Von 76 Plastiktüten werden nur 36 wiederverwendet und 40 nur einmal benutzt. Plastik braucht Jahrhunderte, um zu verrotten. Im Meer gelangt der zerriebene Plastikmüll in die Nahrungskette.
Baumwolltragetaschen haben hohen Emissionswerte bei der Herstellung. Während bei der Herstellung einer Papiertüte etwa 60 Gramm Kohlendioxid ausgestoßen werden, sind es bei einer Plastiktüte etwa 120 Gramm und bei einer Baumwolltasche sogar 1.700 Gramm CO2. Aber schon nach 30 mal einkaufen, ist eine Baumwolltasche „grüner“ als Einweg-Plastiktüten, selbst wenn diese etwa dreimal benutzt werden.
Schon jetzt sei der Verbrauch der Plastiktüten um 80 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren gesenkt worden. Kunden, die sich zum Mittagessen das Käse- oder Frikadellen-Brötchen genehmigen, bekommen ihre Mahlzeit im besten Fall direkt auf die Hand. So macht es auch Kundin Martina Oldenburg (59). Sie freut sich über den Stempel in ihrer Umweltkarte: „Als Kind bin ich auch immer mit der Milchkanne zum Bauern marschiert. Zum Einkaufen nehme ich den Rucksack. Warum nicht auch beim Bäcker Verpackung sparen?“
Altes Brot und Brötchen gehen an Bauern in der Umgebung
Auch die Herausgabe von Plastik-Kaffeebechern konnte durch die Maßnahme, dass der Kunde zehn Cent mit einem selbst mitgebrachten Becher spart, minimiert werden. Schon seit 20 Jahren spendet die Bäckerei übrig gebliebene Backwaren an die Tafel – denn so wenig wie möglich wegschmeißen zu müssen, darauf legen die Inhaber großen Wert. Altes Brot und Brötchen wird an Bauern der Umgebung verkauft. Ein „Kinderblech“ steht an vielen Nachmittagen bereit, um die Ware, die über den Tag nicht verkauft wurde, an die Kleinen zu verschenken, die von den Ruhrtalengeln ein paar Häuser weiter vorbeikommen. Trotzdem ist in der Branche noch viel Luft nach oben.
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Auch bei dem Wittener Unternehmen Backhaus macht man sich Gedanken, „wie man der Kundenerwartung gerecht werden kann“, so Julian Graßhoff, seit 2014 Geschäftsführer. Sprich: Übrig Gebliebenes soll nicht weggeworfen werden. Als fast einziger Wittener Händler verkaufte das Backhaus über die App „Too Good to Go“ übrig gebliebene Ware. So richtig zünde das System aber nicht. „Wir denken inzwischen über ganz alte Muster nach, etwa in einer Ecke abends die Reste der Tagesproduktion stark zu reduzieren.“ Auch ein Pfandbecher-System wolle man einführen.
In der Backbord-Bäckerei des Alnatura-Supermarktes kauften immer noch wenige Kunden mit mitgebrachten Beuteln ein – obwohl es sich meist um alternativ eingestellte Menschen handele, so Filialleiter Alexander Ostermann. Verbraucher müssen beim Einkauf in Bäckereien weiter sensibilisiert werden. Sich ihre Umweltkarte patentieren lassen, möchte Christine Weidler nicht: „Ich will, dass das auch als Anregung für andere Bäcker dient.“