Witten. Paul Rybarsch eröffnete 1969 sein erstes Fachgeschäft für Hörgeräte in Witten. Seitdem hat sich viel getan: Heute sind Hörhilfen fast unsichtbar.

Er trägt gerne Fliege und Hut, auch schon mal eine mehrfarbige Hose. Mit 81 liebt es Paul Rybarsch immer noch bunt. Langeweile ist dem Mann ein Gräuel. Deshalb entwickelte er in der Vergangenheit auch viele Ideen für die Wittener Innenstadt. Wären sie umgesetzt worden, wäre die Bahnhofstraße heute eine überdachte Flaniermeile und im Voß’schen Garten ständen drei Hochhäuser. Erfolgreich war der gebürtige Düsseldorfer jedoch als Unternehmer. Vor 50 Jahren machte sich der Hörgeräteakustikmeister im Souterrain des früheren Arbeitsamtsgebäudes am Rathausplatz selbstständig. Heute gehören zu seiner Firma neun Geschäfte und 27 Angestellte.

„1969 hat man Hörgeräte in Witten nur im Sanitätshaus Richter bekommen“, erinnert sich Paul Rybarsch. Sein Wittener Geschäft findet man seit 1992 in einem über 200 Jahre alten Fachwerkhaus an der Johannisstraße. Das Gebäude hatte der Wahl-Herbeder 1989 von der Stadt gekauft und kernsanieren lassen – ein Schmuckstück im Johannisviertel.

1987 stieg Anne-Katrin Strototte als Teilhaberin bei Rybarsch ein

Auch in Bochum, Schwerte, Wuppertal und Herne verkauft Rybarsch Hörgeräte. Das Unternehmen hat heute drei Gesellschafter – neben dem Firmengründer sind dies die Höregeräteakustikmeister Anne-Katrin Strototte (70) und deren Tochter Henrike Koller. Mit 77 wollte Paul Rybarsch kürzertreten und gab seinen Geschäftsführerposten an die 40-Jährige ab. Henrike Koller hat eine siebenjährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn. Wie sich das mit ihrer Arbeit als Chefin verträgt? „Ich habe flexible Mitarbeiter und mein Mann unterstützt mich. Er arbeitet deswegen Teilzeit.“

Kollers Mutter, Anne-Katrin Strototte, ebenfalls Geschäftsführerin, erinnert sich noch gut daran, wie sie Paul Rybarsch kennenlernte. Die frühere biologisch-technische Assistentin hatte sich bei ihm beworben. „Er sagte zu mir: Ich brauche niemanden, ich nehme Sie aber trotzdem“, erzählt Strototte schmunzelnd. 1987, nach ihrer Prüfung zur Hörgeräteakustikmeisterin, stieg sie als Teilhaberin bei Rybarsch ein.

„Es gibt Kollegen, die verkaufen ihre Geräte zu Tages- und Dumpingpreisen“

Wenn man ihn fragt, warum er gerne mit Frauen zusammenarbeitet, muss Paul Rybarsch nicht lange nachdenken: „Sie sehen mehr als Männer, sie hören mehr und sie machen auch mehr.“ Männer verkröchen sich oft in ihre Arbeit, findet er. „Und das geht im Geschäftsleben nicht, da ist die Kundenbetreuung das Wichtigste.“ Apropos: Ist das Geschäft mit den Hörgeräten in einer alternden Gesellschaft ein einfaches?

Paul Rybarsch mit seiner Tochter Almut Rybarsch-Tarry. Die Dortmunder Künstlerin hat das Fachwerkhaus des Vaters innen und außen mit Kunst bestückt.
Paul Rybarsch mit seiner Tochter Almut Rybarsch-Tarry. Die Dortmunder Künstlerin hat das Fachwerkhaus des Vaters innen und außen mit Kunst bestückt. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Anne-Katrin Strototte schüttelt den Kopf. Ihre Branche, die zum Gesundheitshandwerk zählt, befinde sich in einem großen Umbruch. „Wir haben viele Großfilialisten als Mitbewerber. Es gibt Kollegen, die verkaufen ihre Geräte zu Tages-, zu Dumping-, teilweise zu Kampfpreisen.“ Nicht zuletzt sei es seit etwa fünf Jahren schwierig, vernünftige Auszubildende zu finden. Junge Menschen wüssten oft auch gar nicht, was den Beruf des Höregeräteakustikers ausmache, beobachtet Henrike Koller. „Das wird immer nur mit alten Leuten in Verbindung gebracht.“

„In den 60er Jahren hatten die Leute einen kleinen Kasten vor der Brust“

Was der technische Fortschritt im Bereich der Hörgeräte gebracht hat, erläutert die 40-Jährige an einem einfachen Beispiel: „In den 60er Jahren hatten die Leute einen kleinen Kasten etwa in der Größe eines Handys vor der Brust und einen Knopf im Ohr.“ Heute seien Hörgeräte nur wenige Zentimeter groß und oft gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen.

Paul Rybarsch nickt, auch er trägt Hörgeräte. Bis zu seinem 75. Lebensjahr ist der Mann gerne mit dem Motorrad durch unwegsames Gelände gebraust. „Nicht einfach so, das ist ein Sport für junge Leute und wird Trial genannt.“ Rybarsch begann damit, da war er schon 40. „Heute machen das meine Knie nicht mehr mit.“ Jetzt probiert er es mit Golfen. Augenzwinkernd gesteht der 81-Jährige: „Ob das was für mich ist, weiß ich aber noch nicht.“