Witten. Netzbetreiber Amprion kontrolliert seine Leitungen vom Helikopter aus. Am Donnerstag war er über Witten unterwegs – mit einer Reporterin an Bord.

Schon bevor der Hubschrauber abhebt, vibriert die Kabine gewaltig. Dann geht es innerhalb weniger Sekunden hinauf auf rund 70 Meter Höhe – in Richtung der bis zu 380.000 Volt starken Höchstspannungsstromleitungen. Und ganz nah ran: Bis auf zwei Meter nähert sich Pilot Benjamin Rück den stromtragenden Drahtseilen. Für den 29-Jährigen fast schon Routine, auch wenn die heutige Flugroute entlang von Stromleitungen alles andere als alltäglich ist. Netzbetreiber Amprion kontrolliert alljährlich seine Masten und Kabel vom Helikopter aus. Am Donnerstag (8.8.) waren die rund 40 Kilometer Leitungen über Witten dran.

Freileitungstechniker Hans Brinkers (re.) und Pilot Benjamin Rück (l.).
Freileitungstechniker Hans Brinkers (re.) und Pilot Benjamin Rück (l.). © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Mit an Bord sind an diesem Tag Hans Brinkers und Daniel Glane von Amprion. Mit Argusaugen scannt Brinkers innerhalb von kurzer Zeit die Stromleitungen, an denen er vorbeischwebt. Entdeckt er einen Schaden, gibt er ihn an Glane weiter, der hinten in der Kabine sitzt und alle Beobachtungen direkt mit einem Laptop festhält.

20 bis 25 Kilometer schnellan Stromleitung entlang

20 bis 25 Stundenkilometer schnell bewegt sich der Helikopter über Annen. An einem Abspann-Masten macht er Halt, fliegt das Gerüst von oben nach unten ab. „Ich sag’ dann immer, das ist wie so ein Lift“, scherzt Freileitungsmonteur Brinkers. Seit 30 Jahren gibt es die Kontrollen aus der Luft. Genau so lange ist er schon dabei. Da entwickelt man Gelassenheit – selbst angesichts einiger Flugmanöver, die schon vom Boden aus gesehen waghalsig wirken. Als wir uns einem Masten annähern, befinden sich die Rotorblätter des Helikopters genau zwischen zwei Leitungen, die auf unterschiedlichen Höhen an dem Masten befestigt sind.

Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion kontrolliert seine Hochspannungsmasten und Hochspannungsleitungen per Hubschrauber über dem Stadtgebiet von Witten. Dabei geht es ganz nah ran an die stromleitenden Seile.
Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion kontrolliert seine Hochspannungsmasten und Hochspannungsleitungen per Hubschrauber über dem Stadtgebiet von Witten. Dabei geht es ganz nah ran an die stromleitenden Seile. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

„Wenn man fast sechs Wochen am Stück im Hubschrauber sitzt, ist die Aufregung irgendwann weg“, sagt Hans Brinkers. Sechs bis sieben Stunden verbringen Pilot Benjamin Rück und die beiden Monteure täglich an Bord. Alle zwei Stunden muss der Helikopter tanken. Er fliegt dazu entweder nach Marl oder Menden. Dann bekommt auch Rück seine wohlverdiente Pause. „Die Leitungen abzufliegen, ist schon sehr anstrengend. Es gibt definitiv leichtere Einsätze“, sagt der 29-Jährige. Im Cockpit herrscht daher konzentrierte Stille. „Man ist sehr fokussiert, redet wenig“, sagt der Pilot.

2000 Flugstunden Erfahrungbei Leitungskontrolle

Über 2000 Flugstunden Erfahrung auf dem Gebiet der Leitungskontrolle bringt Benjamin Rück schon mit. Er arbeitet für den Dienstleister „rotorflug“. Dieses Jahr fliegt er zum ersten Mal für Amprion. „Das ist wie Auto fahren. Man fängt langsam an, wird dann immer sicherer“, beschreibt der junge Mann, wie er sich an die verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe herangetastet hat.

Insgesamt werden 1250 Kilometer Leitungen abgeflogen

Anfang Juli startete Amprion mit seiner Kontrolle der Stromleitungen. Überprüft werden dabei insgesamt 4500 Masten und 1250 Kilometer Freileitungen zwischen Meppen im Norden, Wuppertal im Süden, Bochum im Westen und Ostwestfalen im Osten.

Die Kontrolle aus der Luft sei eine sinnvoller Ergänzung zur Überprüfung durch Ablaufen der Leitungen am Boden. Hierbei würden vor allem Schäden am Mastfuß erfasst.

Passiert sei in den 30 Jahren, in denen Amprion die Kontrolle per Helikopter durchführt, noch nie etwas, sagt Bereichsleiter Ulrich Richter.

Auf bis zu einen Meter kann Rück bei guten Windverhältnissen an die Leitungen heranfliegen. „Heute ist es mit rund 50 km/h Windgeschwindigkeit dafür aber zu windig.“ Also ganze zwei Meter Abstand. So nah ran muss der Helikopter, weil die Monteure die Stromleitungen mit bloßem Auge kontrollieren. „Wenn sie ein Fernglas nehmen würden, ginge das gar nicht“, sagt Brinkers. Schuld ist die Vibration. Wegen des recht starken Windes hat das Team auch einige heikle Stellen im Stromnetz ausgelassen. „Da warten wir auf besseres Wetter, kommen nächste Woche wieder“, sagt Brinkers.

Seilschäden, defekte Isolatoren, Vogelnester – und Munition

Geprüft werden die Leitungen auf Seilschäden, defekte Isolatoren oder Schäden am Mast. Ein besonderes Augenmerk legen die Kontrolleure auf Vogelnester. „Davon haben wir so 600 bis 700 Stück“, sagt Bereichsleiter Ulrich Richter von Amprion. Drohen die Nester abzustürzen oder hängen Teile davon gefährlich weit hinunter in Richtung Stromleitung, müssen sie entfernt werden. Ein wichtiger Aspekt sind ebenfalls mögliche Baustellen in der Nähe der Leitungen.

Und was findet man noch so alles bei einem so „spannungsreichen“ Flug? „Wir haben schon öfter Kugeln von Jägern aus den Leitungen entfernt“, sagt Richter. Warum und wie genau sie dort hineingekommen sind? Das kann man allenfalls mutmaßen. Die Leitungsexperten halten sich lieber an Fakten, so hoch in der Luft. Hauptsache, der Strom fließt reibungslos.