Witten. . Eine spannende Frage: Kann man in der virtuellen Realität schneller eine Sprache lernen? Das wurde jetzt mit Flüchtlingen in Witten getestet.

Es ist die ganz alltägliche Realität: Plötzlich sind da diese Schmerzen, aber das Deutsch reicht nicht aus, um die Beschwerden zu schildern. Am Freitagmorgen war das kein Problem. Flüchtlinge konnten in der Apotheke trotzdem alles erklären, die Nachfragen der Apotheker genau beantworten – und das alles in der Bibliothek. Denn auf ihren Nasen saßen große Brillen, die virtuelle Räume erzeugen, so genannte VR-Brillen. Mit dieser neuen Technologie soll der Spracherwerb einfacher und effizienter werden. Das ist zumindest das Ziel eines NRW-Pilotprojekts für Geflüchtete.

Doch sind diese Virtual Reality-Filme wirklich der analogen Sprachdidaktik überlegen? Genau das möchte das Kölner skip-Institut für angewandte digitale Visualisierung der Hochschule Fresenius herausfinden. In zehn NRW-Städten läuft das Pilot-Projekt aktuell.

„Die Spracherkennung erkennt, ob man deutlich genug war“

Die Probanden füllen daher Fragebogen aus. Erst vor, dann nach der Lerneinheit. Zudem nehmen sie an Anleitungen mit herkömmlichen 2-D-Filmen teil. „Damit wir wissen, ob es mit der neuen Technik einen Lernerfolg gibt“, erklärt Eva Blum von der Fresenius-Hochschule. Blum erkennt bereits einen Vorteil der VR-Methode: „Die Spracherkennung erkennt, ob man deutlich genug war.“

So müssen die Teilnehmer die Schritte wiederholen, bis es korrekt ist. Ulisar R. sitzt mit der VR-Brille vor dem Monitor „Ich habe Sie nicht verstanden. Können Sie das bitte wiederholen?“, fragt sie. Gemeint ist natürlich die virtuelle Apothekerin. Schließlich klappt die Verständigung. Die virtuelle Situation scheint in diesem Fall eine Hilfestütze zu sein, um den Alltag zu meistern. Und das spielerisch: So stoßen die Teilnehmer in der dreidimensionalen Welt etwa auf Schaufenster oder Hunde. Die deutschen Vokabeln dazu werden geliefert.

Ulrike Hemmermann (li.) und Lama aus Syrien füllen gemeinsam mit Alexandra Wolff den Fragebogen des Projekts aus.
Ulrike Hemmermann (li.) und Lama aus Syrien füllen gemeinsam mit Alexandra Wolff den Fragebogen des Projekts aus. © Barbara Zabka / FUNKE Foto Services

Überzeugt ist Ulisar R. allerdings nicht von der 3D-Technik: „Es war nicht gut für meine Augen. Mir ist dabei ganz schwindelig geworden.“ Laut Robin Wickenden aus der Redaktion des skip-Instituts seien diese Schwindelgefühle am Anfang ganz normal: „Das Gehirn muss sich ja erst daran gewöhnen.“

Aziz Almohammad kommt dagegen besser mit den dreidimensionalen Alltagssituationen zurecht: „Man kann damit besser die Sprache lernen.“ Sein Freund Ibrahim Abdukader ergänzt: „Es macht einfach Spaß, das zu erleben.“

Technische Hürden gibt es nicht

Ideal wären allerdings VR-Stationen, um einen perfekten Spracherwerb in ruhiger Umgebung zu garantieren, erklärt Robin Wickenden. Technische Hürden gebe es ansonsten nicht: „Wir entwickeln aktuell verschiedene Szenarien“, sagt der 32-Jährige über die VR-Lernwelten „Die Hardware dazu ist vorhanden.“

Büffeln Geflüchtete also bald mit High-Tech-Brillen auf der Nase erfolgreich die deutsche Sprache? Ein Problem besteht doch noch: die Finanzierung. „Am besten müsste das natürlich vom Land ausgehen“, hofft Wickenden. Bisher wird das Pilotprojekt auch von NRW gefördert.

Virtuelle Realität

Virtuelle Realität (kurz: VR) bezeichnet die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit in einer computergenerierten Umgebung. Beliebt ist VR vor allem in der Videospiel-Branche.

Das skip-Institut greift diese Technik nun für die Didaktik auf. VR-Digital-Integration-Project lautet der Forschungstitel, das Studierende unter Leitung von Robin Wickenden initiierten.

Und mit Dr. Nadja Büteführ ist an diesem Vormittag zumindest eine Abgeordnete des Landtags vor Ort, um sich einen Eindruck von der neuen Technik zu machen. „Bisher kannte ich das nur von Videospielen“, gesteht die Sozialdemokratin, die im Ausschuss für Kultur und Medien sitzt. „Aber wenn es möglich ist, sollten wir diese Technik für den Spracherwerb nutzbar machen.“