Witten. . Bei den Vorab-Wählern waren die GroKo-Parteien stärker als an der Urne. Für Wahlamtsleiter Muhr hat das viel mit Alter und Wohlstand zu tun.

Wenn die GroKo-Parteien einen Wunsch freihätten? Gut möglich, dass sie davon träumen, dass das Briefwahlergebnis in Witten das tatsächliche wäre. „Die Briefwahl ist die Domäne von SPD und CDU“, sagt Wahlamtsleiter Michael Muhr nach dem Ausgang der Europawahl – und das zeigen auch die Zahlen.

26,2 Prozent (rund 3 Punkte mehr als im Gesamtergebnis) holt die SPD bei den Briefwahlen – und ist damit hier die stärkste Partei. Die Grünen, eigentlich klarer Sieger in der Stadt, sind in den Briefwahlbezirken mit 22,9 Prozent nur die drittstärkste Kraft. Die CDU liegt hier mit 24 Prozent auf Platz zwei. Für Muhr haben diese Ergebnisse viel mit der Tatsache zu tun, dass der Wahlmonat gleichzeitig ein Urlaubsmonat ist.

Rezo hat die Jungen motiviert

„Die ältere Generation, bei der die Kinder aus dem Haus sind, die sich einen Urlaub im Mai leisten kann: Das sind die Briefwähler – und weniger das klassische Grünen-Klientel“, sagt Michael Muhr. „Briefwähler gibt es vor allem viele in gutbürgerlichen Wohngebieten.“ 13.956 gültige Stimmen gab es bei den Briefwahlen, also fast die Hälfte der 30.705 Wähler, die am Sonntag an die Urne gegangen sind.

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Aber nicht nur Demografie und Einkommen erklären den Unterschied zwischen Briefwahl- und Gesamtergebnis. Wahlamtsleiter Muhr glaubt auch, dass die Ereignisse der letzten Tage vor der Wahl dazu geführt haben, dass SPD und CDU unter den Urnenwählern weniger Erfolg als bei den Briefwählern hatten. „Das Youtube-Video von Rezo hat sicherlich gerade noch mal die Jungen motiviert, keine der beiden Parteien zu wählen“, so Muhr. Auch die Personaldebatten in der SPD hätten vermutlich eine Rolle gespielt.

AfD dort stark, wo Wahlbeteiligung niedrig ist

Besonders stark sind die Grünen mit über 36 Prozent im Ruhr-Gymnasium und im Bezirk „Leben im Quartier“ (Voß’scher Garten). Letzterer ist auch in anderer Hinsicht ein eigenwilliger Bezirk: Die Satiriker von Die PARTEI schaffen dort mit über 7 Prozent ihr bestes Ergebnis, die CDU ist beinahe einstellig, die SPD unter 14 Prozent. Und während sich die Linken im Voß’schen Garten über ein starkes Ergebnis freuen können (8,28 Prozent), liegen FDP (3,4) und AfD (8) weit unter dem

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Gesamtergebnis. Wie Muhr vermutet, spiegelt das die politische Einstellung im Wiesenviertel wider.

Während im Kreativquartier die linkspolitische Gesinnung vorherrscht, ist in den Wahlbezirken mit auffällig geringer Wahlbeteiligung die AfD besonders stark – so wie im Technischen Rathaus II, wo nur 32,7 Prozent der Wähler ihr Kreuz machen. Im Café Schelle sind es sogar nur 31,4 Prozent der Wahlberechtigten. Und in beiden Wahlbüros holt die AfD über 15 Prozent.

Genug Stimmzettel vorhanden

„Die AfD profitiert oft von einer geringen Wahlbeteiligung“, sagt der Wahlamtsleiter. Dazu sei sie häufig stark in Vierteln, in denen es eine „sozialkritische Gemengelage“ und einen „gewissen Migrantenanteil“ gebe. „Unerklärlich“ findet es Muhr dagegen, warum die AfD auch in ländlichen Kommunalwahlbezirken mit viel Wohneigentum wie Bommern-Ost oder Buchholz/Kämpen zweistellig geworden ist. „Das widerspricht anderen Beobachtungen.“ Ohnehin sei die Wahl voller Überraschungen gewesen. „Besonders mit so einer hohen Wahlbeteiligung hat niemand gerechnet.“ Zum Glück gab es in Witten – anders als in Bochum – genug Stimmzettel. Michael Muhr: „Wir hatten Zettel für 70 Prozent der Wahlberechtigten gehortet“.