Witten. Nur bei den Wittener Grünen knallen die Sektkorken. Die Freude über das Abschneiden bei der Europawahl ist nach den ersten Hochrechnungen groß.
Geschlossen bis zum letzten Schlitz sind die Rolladen im Erdgeschoss des SPD-Parteihauses. Sie hat sich etwas abgeschottet, die Sozialdemokratie. Dass es kein erfreuliches Ergebnis werden sollte, wurde an der Annenstraße schon befürchtet. „Wenn wir unter 15 Prozent fallen, gibt es kollektives Weinen“, sagt Vize-Bürgermeisterin Beate Gronau noch am Anfang des Wahlabends..
Einen Grund zum Weinen gibt es dann doch nicht: 15,6 Prozent bei den ersten Hochrechnungen im Bund kurz nach 18 Uhr. Wirklich erschüttern kann die Sozialdemokraten selbst dieses historisch schlechte Ergebnis nicht mehr. „Wir haben ja mit solchen Zahlen gerechnet. Große Parteien sind einfach out“, sagt Gronau. Als dann die Wittener Ergebnisse kommen, folgt doch etwas Überraschung: die Grünen vor den Sozialdemokraten. Uneinig ist man sich im Parteihaus darüber, wie viel die „Fridays for Future“-Bewegung zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Für Schatzmeister Axel Echeverria ist aber zumindest eins klar: „Die Grünen haben den Vorteil, dass sie im Bund in der Opposition sitzen.“
Wichtige Themen ignoriert?
Und die Sensationssieger selbst? Als die ersten Ergebnisse bekanntwerden, blickt man in der Grünen-Geschäftsstelle an der Bergerstraße in fast ungläubige Gesichter. „Wow, so ein krasses Ergebnis habe ich nicht erwartet“, sagt Vorstandsmitglied Michael Kapmeyer. „Jetzt kommen wir langsam in eine Größenordnung, mit der wir wirklich etwas bewegen können.“ Einer der jungen Grünen, Frederik Antary, meint: „Andere Parteien merken jetzt, dass sie Stimmen verlieren, wenn sie sich nicht um das Klima kümmern.“ Zu lange sei in der Politik über verhältnismäßig unwichtige Themen diskutiert worden und dabei seien die wirklich großen gesellschaftlichen Themen, wie eben der Klimawandel, ignoriert worden.
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Als die ersten Wittener Wahlbezirke ausgezählt sind, verliest Fraktionsvorsitzende Birgit Legel-Wood fast im Minutentakt die Ergebnisse: „Nach zwölf Wahlbezirken sind wir immer noch auf Platz 1.“ Die Stimmung ist gelöst, alle trommeln begeistert auf den Tisch. Neben Bio-Sekt wandert auch die ein oder andere Flasche Bio-Bier über den Tisch. Nach 66 ausgezählten Wahlbezirken sind die Grünen immer noch Spitzenreiter in Witten. „Aber ich schaue auch immer auf die rechten Parteien wie die AfD“, sagt Legel-Wood. „Dass so viele Menschen auf deren Parolen reinfallen, finde ich bedenklich.“ Bundesweit liegt die AfD bei 10,8 Prozent der Stimmen, in Witten bei 9,1 Prozent.
AfD spricht von „Klima-Hysterie“
Die AfD dagegen findet bedenklich, dass so viele Bürger „dem Öko-Populismus und der Klima-Hysterie“ auf den Leim gehen, wie es Kreissprecher Matthias Renkel formuliert. Über das eigene Ergebnis ist er leicht enttäuscht. „Wir hätten uns mehr erwartet, etwa 15 Prozent.“ Dennoch sei das Abschneiden seiner Partei gut und die Verluste der Groko-Parteien seien zu begrüßen. Dass die AfD schlechter abschnitt als erwartet, liegt laut Renkel auch an „der Konsequenz aus der medialen Berichterstattung“. „Da wird immer nur draufgehauen.“ Auch dass das Thema Klima so populär geworden ist, sieht er als Folge „unkritisch berichtender Medien“.
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Wo bei anderen Wahlen sonst die große Wahlparty steigt, hat sich dieses Mal nur die CDU zusammengefunden. Vize-Bürgermeister Lars König ist im Ratskeller dabei und verhehlt seine Enttäuschung über das Wahlergebnis der Union erst gar nicht. Er fragt sich, ob es die Union ebenso wie die SPD „nicht geschafft hat, ausreichend zu mobilisieren“. Ob in der Union jetzt eine neue Diskussion über die Kanzlerin ausbricht? „Vom konservativen Flügel würde ich das erwarten“, sagt König.
Die PARTEI: Wir können auch ernst
Natürlich richtet sich der Blick an diesem Abend im Wittener Ratskeller auch auf Grüne und SPD. Am CDU-Tisch glaubt keiner daran, dass sich Andrea Nahles an der SPD-Spitze halten wird. An die Adresse der Grünen gerichtet, sagt der Wittener Unions-Vize: „Ich habe kein Problem damit, ihnen heute Abend zu ihrem Sieg zu gratulieren.“
Erstmals nicht unter „Sonstige“ aufgeführt wurden in Witten die Satiriker von Die PARTEI, die dank ihres guten Ergebnisses im Bund (2,4 Prozent) sogar drei Europaabgeordnete nach Brüssel schicken kann. Sven Busch, der PARTEI-Vorsitzende in Witten, Wetter und Herdecke, hofft, dass man seine Partei nun nicht mehr nur als „Spaßpartei“ begreift. „Es gibt viele bei uns, die mit Mitteln der Satire ernsthaft Politik machen wollen.“
Stefan Borggraefe von den Piraten zeigt sich am Sonntagabend etwas gedämpft angesichts das Bundesergebnisses (0,8 Prozent), freut sich aber zugleich darüber, dass seine Partei in Witten fast doppelt so stark ist (1,5 Prozent). „Das ist eine Bestätigung für die lokale Arbeit“, so Borggraefe. Gemischte Gefühle auch bei Ulla Weiß von der Linkspartei: „Ich bin etwas enttäuscht, freue mich für die Grünen. Allerdings glaube ich, dass sie für erfolgreichen Klimaschutz einen sozialen Partner an ihrer Seite benötigen.“ Und die FDP? Im Bund ist sie mit 5,4 Prozent genauso stark wie in Witten. „Wir hätten durchaus mehr erwartet“, sagt Wittens FDP-Chef Peter Heiner nach den ersten Hochrechnungen.