Witten. Die Grünen holen mit über 25 Prozent auch in Witten einen Sensationssieg und lassen die SPD hinter sich. Und auch die CDU verliert stark.
Der Balken mit den Stimmanteilen der Grünen ist längst in den Himmel gewachsen, da bekommt Ratsfrau Lilo Dannert bei der Wahlparty an der Bergerstraße eine Nachricht auf ihrem Handy: „Es wird Zeit, über eine grüne Bürgermeisterin nachzudenken.“ 25, 6 Prozent machen solche Fantasiespiele möglich. Die Grünen sind auch in Witten die großen Sieger der Europawahl. Erstmals lassen sie die SPD hinter sich. Die Wahlbeteiligung fällt mit 61 Prozent unerwartet hoch aus.
Die blaue Europafahne hängt über der Tür, Sekt und Weißwein sind kalt gestellt. Die Grünen haben wohl geahnt, dass es so schlecht für sie nicht laufen wird. Aber ein Sieg, noch dazu in dieser Höhe? „Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sagt Lilo Dannert. 20 Prozent hätte sie erwartet, sagt die Fraktionschefin im Rat, Birgit Legel-Wood. „Ich war davon ausgegangen, dass wir zweitstärkste Partei werden.“ Hinter der SPD. Dass die verlieren wird, dafür musste man wohl kein Prophet sein. Dass sie aber selbst in Witten so unter die Räder kommen sollte, daran hatten nicht mal die leidgeprüften Sozialdemokraten geglaubt. 2014 hatten sie noch 39 Prozent bekommen. Nun der Absturz auf 23.
SPD: Personaldebatte hat Stimmen gekostet
„Ein enttäuschendes Ergebnis“, bringt es der Wittener Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack auf den Punkt. „Offenbar haben wir den Wählern nicht gut genug vermittelt, wie wir uns Europa vorstellen.“ Auch die Personaldiskussion um Parteichefin Andrea Nahles habe negative Auswirkungen gehabt.
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Dies bestätigt auch der Wetteraner Europakandidat Dietmar Köster, der es mit Listenplatz 8 wieder ins Parlament schafft. „Die Personaldebatte hat uns nicht gut getan.“ Dazu habe man der SPD im „zentralen Thema des Klimaschutzes nicht die entsprechende Glaubwürdigkeit zugeschrieben“. Köster: „Es ist nicht deutlich geworden, was wir hier erreichen können.“
Wechselstimmung von CDU zu Grünen
Zurück zu den Grünen: Viele junge Leute hätten sie gewählt, sagt Lilo Dannert. In 15 von 83 Wahlbezirken liegen die Grünen über 30 Prozent. Im Ruhr-Gymnasium erzielen sie mit 36,6 Prozent das beste Ergebnis. Die SPD ist teilweise nur noch drittstärkste Kraft, hinter Grünen und CDU. Selbst in einstigen Hochburgen wie Annen kommen die Genossen unter die Räder. In der Holzkampschule haben die Grünen knapp, in der Friedenskirche deutlich die Nase vorn: 20 Prozent SPD, Grüne 30. Ihr schlechtestes Ergebnis holt die SPD im Wahlbezirk „Leben im Quartier“ (Voß’scher Garten) mit 13,6 Prozent.
Zu den Wahlverlierern zählt auch die CDU. Sie büßt fast fünf Punkte ein und landet noch unter 20 Prozent. Im Wahllokal Wideyzentrum/Breitestraße und St. Marien wird sie mit nur noch über acht Prozent sogar einstellig. „Wir liegen voll im Bundestrend“, sagt Stadtverbandschef Ulrich Oberste-Padtberg. „Wir haben schon im Wahlkampf eine eindeutige Wechselstimmung zu den Grünen gespürt.“ Das Thema Klimaschutz sei von der Bundespartei maßlos unterschätzt worden. Über mögliche Folgen für die Kommunalwahlen will er noch nicht sprechen. „Die Groko macht in Witten eine blitzsaubere Arbeit.“ Vize Lars König kann dem Gesamtergebnis eines positiv abgewinnen: Eine Mehrheit habe proeuropäisch gewählt.
Ziel der Grünen: Zweitstärkste Partei bei Kommunalwahlen
Tatsächlich ist den EU-Skeptikern von der AfD nicht der Sprung über die Zehn-Prozent-Marke gelungen. In einzelnen Stimmbezirken wie im Technischen Rathaus in Annen kratzen sie aber knapp an der 19-Prozent-Marke. Auch im Bereich Pferdebachschule und Café Schelle landen sie deutlich bei über zehn Prozent. Die Linkspartei hat verloren (4,7 statt 6,4 Prozent), die FDP zugelegt (von 3,2 auf 5,4), die Piraten rutschen unter zwei Prozent, noch überholt von Die PARTEI mit 2,9 Prozent. Richtig gefeiert wird aber nur bei den Grünen. Sie denken sehr wohl schon an die nächste Kommunalwahl. Das Ziel, zweitstärkste Partei zu werden, hält Fraktionschefin Legel-Wood nach diesem Sensationssieg jedenfalls nicht mehr für zu vermessen.