Einen Tag nach dem angekündigten Amoklauf am Albert-Martmöller-Gymnasium zeigen sich die Schüler betroffen, aber nicht ängstlich. Seelsorger und Psychologen waren vor Ort. Die Schüler diskutierten über das Geschehene und machen der Schulleiterin Vorwürfe.
„Die ganze Schule redet darüber”, sagt Marie Schröter. Die 13-Jährige besucht die siebte Klasse, genau wie das zwölfjährige Mädchen, das durch ein paar Worte an der Tafel so viel Wirbel ausgelöst hat.
„Wer sowas tut, muss ja total verzweifelt gewesen sein”, sagt die Siebtklässlerin. Immer wieder stellt sie sich die Frage, warum das Mädchen diese Worte geschrieben hat. Warum hat sie nicht über ihre Probleme gesprochen? „Wir haben sehr gute Vertrauenslehrer”, sagt Marie Schröter. Mobbing sei in ihrer Stufe eigentlich kein Thema – dachte sie zumindest bisher.
„Mir geht nicht aus dem Kopf, dass ich sie kennen muss”, sagt die 13-Jährige. Schließlich handele es sich um ein Mädchen aus der Parallelklasse. Bisher spekulieren die Schüler jedoch nur, wer es ist. Die Wittener Schule gibt darüber keine Informationen.
In den ersten beiden Stunden habe eine Vertrauenslehrerin mit ihnen gesprochen. „Wir haben wirklich viel Bedarf, darüber zu reden”, sagt sie. Psychologen waren an der Schule, aber „unser Biolehrer hat uns nicht hingehen lassen”, sagt eine Klassenkameradin. Das sollten sie in der Pause machen. Angst haben die Freundinnen jedoch nicht. „Wenn das einer aus der Oberstufe gewesen wäre vielleicht, aber eine Zwölfjährige macht sowas nicht”, davon sind die Siebt-klässlerinnen überzeugt.
Als einen Hilferuf und keine ernsthafte Amokdrohung verstehen auch Paul (19) und Jan Kahrau (20) die Worte an der Tafel. Sie diskutieren ebenfalls über den Vorfall. „Das ist gestern alles ziemlich chaotisch gelaufen”, bemerkt Jan Kahrau. Er wirft der Schulleitung vor, dass sie alle Schüler auf den Schulhof schickte, obwohl dort seiner Meinung nach auch keine Sicherheit gewährleistet war (siehe Info am Textende). Außerdem erwarte er von der Schulleitung eine offene Stellungnahme.
Wie kann eine solche Amokdrohung in Zukunft verhindert werden, fragen sie auch den zuständigen Bezirksbeamten Klaus Peter Born, der gestern vor Ort war, um mit einigen Schülern zu reden. „Gar nicht”, ist seine Antwort. Ein Schüler könne immer so etwas an die Tafel schreiben.
Der Polizist fordert die beiden Schüler auf, nicht einfach zum Alltag zurückzukehren. „Nutzt die Chance, Robert Enke ist auch ein Aufhänger”, sagt er. Auch Born denkt, dass die Schüler dringend vertrauensvolle Ansprechpartner benötigen. „Man kann nur einen Schulpsychologen empfehlen oder Vertrauenslehrer, die wirklich das Vertrauen der Schüler haben und mitkriegen, wenn es jemandem schlecht geht.”
Die Klassenkameraden des offensichtlich verzweifelten Mädchens benötigten gestern seelsorgerische Unterstützung, berichtet Born. Einige von ihnen hätten geweint. „Die sind jetzt ein bisschen hilflos und wissen gar nicht richtig, mit der Situation umzugehen”, so Born. Im Nachhinein sehen die Mitschüler nun einige Hinweise, dass das Mädchen Probleme hatte.
„Die Schüler wissen nicht, wie sie mit dem Mädchen umgehen sollen”, sagt der Bezirksbeamte. Unter den Schülern gebe es Diskussionen, ob das Mädchen von der Schule verwiesen werden sollte, berichtet Jan Kahrau. „Das wäre der falsche Weg”, findet er. Lieber sollten Lehrer und Psychologen dem Mädchen helfen. Ob die Zwölfjährige das AMG verlassen muss, wird die Schulleitung entscheiden.
Ein paar Worte voller Verzweiflung haben die Bedrohung eines Amoklaufes ganz nah an die Schüler gebracht. „Amok ist nicht in Amerika, Amok ist hier in Witten, am AMG”, sagt Born. Trotzdem sei es noch glimpflich gelaufen: „Wenn hier zwölf Kreuze gestanden hätten, wäre die Stimmung ganz anders gewesen.”
Info: Sicherheit am AMGEs müsse ein Missverständnis gewesen sein, dass die Schüler nach Verlassen der Klassen auf den Schulhof geschickt wurden, sagt Schulleiterin Gudrun Sandkuhl. „Jemand hat das wohl als Alarmübung verstanden.” Schon vor der Androhung eines Amoklaufs am AMG wollte die Schule ihre Sicherheit verstärken. Die Außentüren sind verschlossen. Es laufen Anträge bei der Stadt, dass Klassen nicht von außen zu öffnen sind und draußen eine Gegensprechanlage mit Webcam installiert wird.