Witten. . „Büchermarder“ ist sein Spitzname: Ein Rentner aus Witten soll Keplers Weltkarte von 1627 aus einer Bibliothek gestohlen haben. Er muss in Haft.
Angeklagte sind kurz vor Prozessbeginn in aller Regel keineswegs so aufgekratzt wie Norbert S. . „Was anderes als ein Freispruch kann ja nicht kommen“, ruft er den Journalisten im Foyer des Wittener Landgerichts am Morgen zu. „Die Anklage“, setzt der Rentner hinzu, „ist doch lachhaft.“ Vier Stunden später hat das Schöffengericht den 65-Jährigen zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt. Ohne Bewährung.
Das Gericht ist überzeugt, dass der Mann vor zwei Jahren in der Universitätsbibliothek Innsbruck den den wertvollen Kupferstich einer Weltkarte von Johannes Kepler aus der Universitätsbibliothek Innsbruck gestohlen habe. Büchereien hat er schon öfter heimgesucht, der Spitzname „Büchermarder“ fällt in der Verhandlung.
Bibliothekarin Eva Ramiger, als Zeugin eigens aus Tirol angereist, beziffert den Wert der Karte auf mindestens 30.000 Euro. „Der ideelle Wert“, fügt sie hinzu, „ist natürlich noch viel höher.“
Angeklagter hatte vier Herzinfarkte
Mit einer violetten Krücke ist der Angeklagte zum Termin erschienen, die neue Knieprothese verursache Schmerzen. Unter blauem Sakko und
weißem Leinenhemd wölbt sich ein stattlicher Bauch über der hellen Hose, der weiße Schnauzbart ist sauber gestutzt. „Ich hab’ vier Herzinfarkte hinter mir“, erzählt Norbert S., ohne dass man ihn dazu drängen müsste, er sei Diabetiker, auch Krebs habe man bei ihm diagnostiziert. Aber weil er sich „so sehr auf den Prozess freue“, sei er jetzt nicht im Krankenhaus, sondern hier. Drei erwachsene Kinder hat er, vier Ehen hinter sich.
So redselig und wortgewandt er vor der Saaltür ist, im Prozess selbst trinkt er nur noch viel Cola light -- zum Vorwurf mag er nichts sagen. Nur so viel: „Als ich das Buch durchgeschaut habe, war die Karte schon nicht mehr drin.“
Gefunden hat die Polizei das wertvolle Stück bei einer Hausdurchsuchung nicht, und dennoch kam es zur Anklage. Norbert S. ist weit mehr als ein Dutzend mal verurteilt worden, meist wegen Diebstahls, und fast immer kam er mit Bewährungsstrafen davon, einmal saß er anderthalb Jahre im Gefängnis. Geldsorgen sollen ihn meist getrieben haben, als ausgebildeter Industriekaufmann habe er sich eine ganze Weile nur mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten.
Es gab Warnungen anderer Bibliotheken
Dass er auch schon wertvolle Bücher aus den Unibibliotheken Düsseldorf und Bochum gestohlen und verhökert hatte, dass es auch eine ganze Reihe weiterer Ermittlungen gab, die teils im Sande verliefen, wusste Claudia Sojer nicht. Bei ihr hatte sich Norbert S. damals in Innsbruck angemeldet.
„Er hat seinen Ausweis gezeigt und gesagt, dass er für eine Publikation zum Thema Weltumseglung recherchiere“, berichtet die Bibliothekarin als Zeugin. Sie habe das Buch schließlich aus einem Tresorraum beschafft und ihm vorgelegt. Ein paar Minuten indes war der Besucher mit dem Band offensichtlich alleine – Claudia Sojer musste zur Toilette.
Als Norbert S. die Innsbrucker Universitätsbibliothek verlassen hatte, setzte sie sich an den Computer und gab seinen Namen im Internet ein. „Was ich dann in internen Bibliotheks-Newslettern gefunden habe, hat mich sehr alarmiert“, erinnert sich die Frau. „Da waren Warnungen, dass man auf diesen Mann achten soll, er leiht wertvolle alte Bücher aus und entwendet Karten.“
Da ihr bei der ersten Durchsicht des Bandes nichts aufgefallen sei, habe sie ihn „Blatt für Blatt“ mit einem zweiten Band abgeglichen, der in der Bayerischen Staatsbibliothek vorrätig war. „Wir waren sehr nervös“, weiß Claudia Sojer noch. Und das Ergebnis bestätigte ihre Sorge: Die Karte war weg!
Richterin: Es gibt keine vernünftigen Zweifel
Pflichtverteidiger Thomas Moritz beharrt darauf, dass ja auch Mitarbeiter in der Bibiliothek Zugriff gehabt hätten. Die letzte Anfrage zum Buch habe es
2013 gegeben, da war die Karte noch da -- vier Jahre seien eine lange Zeit.
Doch der Versuch prallt an der Vorsitzenden Richterin ab. Barbara Monstadt räumt ein, dass es „theoretisch natürlich möglich“ sei, es aber „keine vernünftigen Zweifel daran gibt“, dass der Angeklagte der Täter sei. Er sei auch angesichts seiner Vorgeschichte „ein sehr plausibler Kandidat“.
Während Moritz „mit Blick auf Gesundheit und Alter“ seines Mandanten bei einer Verurteilung eine Bewährungsstrafe angemessen fände, entgegnet Barbara Monstadt kühl: „Alter und Gesundheit muss man auch bei seinen Taten Rechnung tragen.“ Bewährung komme „bei x einschlägigen Vorstrafen“ nicht mehr in Frage. Eine günstige Sozialprognose sieht sie für Norbert S. auch nicht: „Hier ist noch nicht Schluss.“
„Es sind reine Indizien, wir prüfen selbstverständlich Rechtsmittel“, versichert Anwalt Thomas Moritz auf Nachfrage. Sein Mandant ist schweigend vor die Tür gegangen. So lachhaft war der Vormittag dann doch nicht.