Witten. . Auch Pflegekräfte in Witten machen Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Caritas und Diakonie haben das Problem erkannt.

Wenn Luisa Fischer manch einem Patienten den Rücken zudreht, wird sie erst gestreichelt – und dann endet die Hand häufig am Po. Sexuelle Belästigung: Für die 28-jährige ambulante Pflegekraft „anstrengend“, „belastend“, „üblich“. Aber: „Ich traue mich inzwischen viel mehr, meine Grenzen aufzuzeigen“, sagt sie. Für Fischer ist es das Resultat einer Fortbildung, zu dem der Wittener Caritasverband seine Pflegekräfte verpflichtet.

Fast 40 Prozent der Pflegekräfte werden laut einer Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) einmal im Monat sexuell belästigt. „Immer wieder kommt es auch bei uns zu sexuellen Übergriffen“, sagt der Caritas-Vorstand Hartmut Claes. Gerade jüngere Mitarbeiter würden manche Situationen über sich ergehen lassen, um Patienten nicht zu verärgern, ergänzt Pflege-Fachbereichsleiter Andreas Waning. „Die Schulung zeigt: Niemand muss sich bedrängen lassen.“

„Toleranzschwelle sehr unterschiedlich“

Kampfsportlehrer und Psychiatrie-Pfleger Oliver Krumme lehrt bei den Trainings rhetorische Techniken und Handgriffe, um sich aus unangenehmen Situationen zu befreien – in engen Badezimmern oder kleinen Küchen etwa. „Eben in den Räumlichkeiten, in denen solche Vorfälle auch passieren“, sagt Waning. Dabei steht nicht nur der Umgang mit sexuellen Übergriffen auf dem Plan, sondern auch der Umgang mit Gewalt. Denn gerade Demenzpatienten würden in Angstsituationen zu aggressivem Verhalten neigen.

Auch bei der Diakonie hat man das Problem sexueller Belästigung erkannt – bildet aber bislang nur ausgewählte Kräfte weiter. „Ziel ist es, alle Mitarbeiter in dem Bereich zu schulen“, sagt Jens Fritsch, Geschäftsführer der Diakonie Ruhr Pflege – unabhängig davon, wie Mitarbeiter die meist verbalen sexuellen Grenzüberschreitungen wegstecken. „Die Toleranzschwelle der Kräfte ist hier sehr unterschiedlich“, ergänzt Fritsch. Ein größeres Thema als sexuelle Belästigung sei für die meisten Pflegekräfte die Gewalt im Arbeitsalltag.

Offen mit Erfahrungen umgehen

Ähnliche Beobachtungen macht Stephan Heidemann, Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes CareMed, der sexuelle Übergriffe im Vergleich zu Gewalterfahrungen als „außergewöhnlich“ bezeichnet. „Das ist bei uns kein Alltag.“ Ähnlich äußert man sich bei der Lebenshilfe Witten, die sich auf die Pflege von Menschen mit Behinderung spezialisiert. Geschäftsführer Dieter König: „Natürlich gibt es auch bei geistig behinderten Personen sexuelle Vorstellungen.“ Mehr bereite man sich aber auf aggressive Ausbrüche vor.

Ob Erfahrungen mit anzüglichen Bemerkungen bis zur Geschäftsführung durchringen, hängt für Caritas-Pflegekraft Luisa Fischer auch damit zusammen, wie offen man mit solchen Erlebnissen umgeht. „Und bei uns wird da sehr offen drüber gesprochen.“