Witten. . Der BGH befasst sich mit der Sonden-Ernährung 2011 verstorbenen Mannes. Ein Wittener Mediziner schrieb das Gutachten für dessen klagenden Sohn.
Der bekannte Wittener Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns hat ein Gutachten für einen jetzt vom Bundesgerichtshof zu klärenden Fall geschrieben, der seit der Verhandlung am Dienstag in Karlsruhe bundesweit für Aufsehen sorgt. Es geht um einen 2011 in einem Pflegeheim bei München verstorbenen 82-jährigen dementen Mann, der in seinen letzten Lebensjahren durch eine Magensonde ernährt wurde. Sein Sohn hat den Hausarzt des Vaters auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt.
Das Leiden des Vaters sei durch die Sonden-Ernährung künstlich verlängert worden, begründet der Sohn, Heinz Sening, seine Klage. Der schwerkranke Vater hatte einen gesetzlichen Betreuer. Sening, selbst gelernter Fachkrankenpfleger für Rehabilitation, lebt in den USA. Palliativarzt Matthias Thöns war vom Anwalt des Klägers, einem Experten für Medizinrecht, gebeten worden, ein Gutachten zu schreiben – zur Frage, ob eine künstliche Ernährung bei dem Schwerkranken angezeigt war.
„Der Arzt impfte den Hilflosen auch gegen Grippe“
Thöns, der deutschlandweit mit seinem Bestseller „Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende“ für Schlagzeilen sorgte, kam zu der Einschätzung, dass der alte Mann an einer fortgeschrittenen Demenz litt, bewegungs- und kommunikationsunfähig war. „Er hatte Erstickungsanfälle, extrem ausgeprägte Gelenkfehlstellungen, eine Spastik und wiederkehrende Druckgeschwüre.“ Der Hausarzt habe dem Mann, der auch unter starken Schmerzen gelitten habe, nicht nur über Jahre eine künstliche Ernährung verordnet.
„Der Arzt impfte den Hilflosen auch gegen Grippe, führte Laboruntersuchungen durch und berechnete sogar eine Krebsvorsorge-Untersuchung“, sagt Matthias Thöns. Der „leidvolle Zustand“ des Dementen sei um Jahre verlängert worden. Eine Patientenverfügung hatte er nicht.
Landgericht München wies Klage ab
Zu seiner Einschätzung kam der Wittener Mediziner durch Auswertung der Aufzeichnungen der Pflegeeinrichtung, in der der Bayer betreut wurde, sowie durch Abrechnungen des Hausarztes. Das Landgericht München I hatte die Klage des Sohnes gegen den Hausarzt im Januar 2017 abgewiesen.
Das Oberlandesgericht München jedoch sprach dem heute 60-Jährigen im Dezember 2017 ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Begründung: Der Hausarzt habe seine Aufklärungspflicht verletzt. Der Bundesgerichtshof kann der Einschätzung des OLG München offenbar nicht folgen.
Heinz Sening: „Mein Vater hat viel gelitten“
Am Dienstag zeichnete sich ab, dass die obersten Zivilrichter eher nicht dazu neigen, dem Sohn als Erben Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von über 150.000 Euro zuzusprechen. Der Bundesgerichtshof wies daraufhin, dass der Sohn zu Lebzeiten seines Vaters auch eine Prüfung des Falls beim Betreuungsgericht hätte beantragen können.
In einem Telefonat mit unserer Zeitung betonte der Kläger, Heinz Sening, dass es ihm nicht um Geld gehe. „Mein Vater hat mir viel Geld hinterlassen“, sagte er am Mittwoch. Wichtig sei ihm vielmehr, dass über diesen Fall auch öffentlich werde, dass es am Lebensende Geschäftemacherei gebe. „Mein Vater hat viel gelitten. Es wäre schön, wenn dies nicht umsonst gewesen ist.“ Der sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs will das Urteil in einigen Wochen verkünden.
>>> STIFTUNG HILFT BEI VORSORGEDOKUMENTEN
- Zu diesem Fall heißt es von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: Hätte der alte Mann eine Patientenverfügung gehabt, wäre dieser Prozess überflüssig, zitiert das Deutsche Ärzteblatt Stiftungsvorstand Eugen Brysch.