Witten. . Die meisten Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Eine Studie der Uni Witten will jetzt herausfinden, was pflegende Angehörige brauchen.
Angehörige sind Deutschlands größter Pflegedienst. Nach Experten-Schätzungen lebt nur jeder vierte Pflegebedürftige in einer Senioreneinrichtung. Alle anderen werden zuhause versorgt – zum großen Teil durch Angehörige, oftmals Frauen. Eine Aufgabe, die Pflegende nicht selten an ihre körperlichen und seelischen Belastungsgrenzen bringt. Eine Arbeit, die krank machen kann, wenn sich Angehörige keine Unterstützung suchen. Was Pflegende brauchen, was sie an Unterstützung vermissen, ob sie überhaupt wissen, wo sie Hilfe bekommen – dies wollen Wissenschaftler der Uni Witten/Herdecke herausfinden.
Für die Studie, die die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Sabine Bohnet-Joschko leitet, wurde im November ein Online-Fragebogen für pflegende Angehörige freigeschaltet. Rund 800 Pflegende haben die unter angehoerigenpflege.info gestellten Fragen bereits beantwortet.
Die Online-Befragung ist anonym
„Es ist eine anonyme Befragung, die sich an Menschen richtet, die einen oder mehrere hilfe- oder pflegebedürftige Angehörige unterstützen, betreuen oder pflegen“, erklärt Bohnet-Joschko. Durch die im Netz gestellten Fragen soll die Lebenswirklichkeit Pflegender erfasst werden. Wie viele Stunden wendet der Pflegende wöchentlich auf? Machen bei der Pflege weitere Familienangehörige, Nachbarn oder Bekannte mit? Wobei benötigt der Pflegebedürftige Hilfe? Wie stark fühlt sich der Pflegende durch die Unterstützung belastet? Fehlt er bei der Arbeit, ist er in seinem Sozialleben eingeschränkt? Gibt es eine Möglichkeit, eine Auszeit von der Betreuung zu nehmen?
Die Online-Befragung läuft bis zum 31. Januar. Studienleiterin Bohnet-Joschko hofft auf eine möglichst große Beteiligung. „Denn je mehr ausgefüllte Fragebogen wir erhalten, desto besser können unsere Ergebnisse die Situation und die Bedürfnisse pflegender Angehöriger widerspiegeln.“ Wer mitmache, trage dazu bei, dass es für pflegende Angehörige zukünftig einfacher sein werde, die passende Unterstützung zu erhalten. Denn am Forschungsprojekt und seinen Ergebnissen haben auch die Pflegekassen und das NRW-Gesundheitsministerium Interesse, die die Arbeit der Wittener Wissenschaftler finanziell unterstützen.
Viele Informations- und Kommunikationsprobleme
„Erste Ergebnisse der Studie werden wir beim Deutschen Kongress für Versorgungsforschung im Oktober in Berlin vorstellen“, kündigt Sabine Bohnet-Joschko an. Warum pflegende Angehörige keine Unterstützung annehmen, obwohl es viele Angebote gibt, ob sie eventuell von den Hilfsangeboten nichts wissen, ob die Anbieter der Unterstützungsleistungen diese nicht richtig oder verständlich genug öffentlich machen – auch dies soll die Studie zeigen. Die Professorin: „Denn es gibt viele Informations- und Kommunikationsprobleme in diesem Bereich. Betroffene empfinden das oft als einen Dschungel.“
In einem ersten Teil des Forschungsprojektes wurden Menschen befragt, die pflegende Angehörige beraten. Von ihnen wollten die Wissenschaftler unter anderem wissen, wie eine solche Beratung abläuft, welche Angebote für Pflegende aus Sicht der Experten fehlen. Bohnet-Joschko: „Es kann sein, dass in einer Beratung die falschen Leistungen angeboten werden, die nicht zu den Bedürfnissen des jeweils Pflegenden passen.“ Denn jeder Pflegefall sei einzigartig.
Durch die Pflege extrem belastet
Die Professorin weist hierbei auch auf Ehepaare in einem hohen Alter hin. „Frauen pflegen da oft ihre Männer, aber es gibt auch umgekehrte Fälle. Diese Menschen begreifen sich nicht als pflegende Angehörige. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie ihren Ehepartner unterstützen. Daher nehmen sie oft Leistungen und Hilfe hierfür nicht in Anspruch, obwohl sie durch die Pflege extrem belastet sind.“ So lautet die zentrale Fragestellung der Wittener Studie: Wie kann man die besser unterstützen, die die Pflege in diesem Land maßgeblich aufrecht erhalten?
>>> FRAGEBOGEN AUCH AUF TÜRKISCH UND RUSSISCH
- Den Fragebogen für pflegende Angehörige findet man unter: www.angehoerigenpflege.info. Die Fragen wurden auch in russischer und türkischer Sprache eingestellt.
- Prof. Sabine Bohnet-Joschko: „Russisch- und türkischstämmige Menschen können als Pflegende aus einem anderen Kulturkreis unter Umständen andere Bedürfnisse haben.“