Witten. . 350 Stempel hat Michael Becker in seinem Reisepass. Als Händler für Lederbekleidung ließ er im Ausland produzieren – und erlebte Extremes.
Michael Becker ist ein Mann der Gegensätze. Während er im wackelnden Zug durch die indische Landschaft reiste, im offenen Waggon neben Stroh und Ziegen, ließ er sich wenige Stunden zuvor in der ersten Klasse einer Lufthansa-Maschine den Kaviar reichen. „Dann merkt man, dass man lebt“, sagt der 60-Jährige, der das Auslandsgeschäft des Lederbekleidungshändlers „Enjoy“ mit Fabriken in Asien und Südamerika leitete – und 350 Stempel im Reisepass sammelte.
Ironischerweise ist es gerade eine gewisse Perspektivlosigkeit, die Becker mit etwa 25 Jahren erstmals über die deutsche Grenze brachte. „Ich hatte keinen Job und hörte von Kollegen, dass man guten Gewinn mit Autos im Ausland machen kann.“
Also machte sich der gelernte Elektriker auf, um im Libanon einen Mercedes 200er zu verkaufen. In der Türkei wurden Fahrgestell- und Motornummer des Wagens in den Pass eingetragen. „Bei der Ausreise wurde alles kontrolliert. Hätte da was nicht gestimmt, wären hohe Zölle fällig gewesen.“
Becker schaffte es bis in den Libanon – wenn auch nicht ohne Komplikationen: In der Türkei stieß er mit einem syrischen Militärlastwagen zusammen.. „Ich habe die Reparatur mit meiner Digitalarmbanduhr bezahlt“, erzählt er. „Die waren damals sehr beliebt.“
Einen großen Gewinn brachte der Mercedes am Ende nicht. Dafür schnupperte Becker erstmals asiatische Luft. Hier sollte er die schlimmsten, aber auch schönsten Erfahrungen seines Lebens machen.
Da waren die Nächte in pakistanischen Hotels, in denen Becker Kakerlaken über die Brust krabbelten. „Die Hotelangestellten haben Kannen voll Gift auf die Betten gekippt, um die Viecher zu vertreiben“, erzählt Becker. „Am nächsten Morgen bin ich mit gewaltigen Kopfschmerzen aufgewacht.“
Ekel, Angst – und das Paradies
Nicht minder brummte der Schädel in Süd-Indien, wo Becker über 50 Grad im Schatten ertragen musste. „Das war als wenn man den Kopf in einen Backofen stecken würde und nicht herauskommen könnte“, erinnert er sich. „Man konnte nicht mal kalt duschen, weil der Wassertank den ganzen Tag von der Sonne angestrahlt wurde.“
Grenzerfahrungen machte Michael Becker auch in der Nacht auf den 13. Oktober 1999. Von der 12. Etage eines Hotels erlebte er den Putsch des pakistanischen Regierungschefs Nawaz Sharif mit. „Aus der Ferne donnerte es“, erzählt Becker. „Panzer rollten über die Straße. Und im Fernseher lief nur ein Laufband mit Text in Hindi.“ Das Angstgefühl aus jener Nacht. Es bleibt unvergessen. „Ich war extrem verunsichert.“
Nicht weit von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entfernt machte Becker dagegen Begegnung mit dem Paradies. „Kaschmir hat mir von allen Orten, die ich gesehen habe, am besten gefallen“, schwärmt Becker über die Region im Himalaya. „Es ist dort vergleichbar mit dem Sauerland, nur mit den idealen Temperaturen – nicht zu warm, nicht zu kalt.“
Früher Ruhestand in Kämpen
Dass Becker trotzdem lieber das ländliche Kämpen als idealen Ort für seinen frühen Ruhestand ausgewählt hat, liegt auch an der politischen Situation in Deutschland. „Ich bin auch deswegen heimatverbunden, weil ich schätze, dass man hier sagen kann, was man möchte“, sagt der ehemalige Geschäftsmann – der die Bekanntschaft mit korrupten Politikern gemacht hat, die mit ihrer goldenen Armbanduhr angaben, statt politische Visionen zu verfolgen. „Ich habe einen guten Freund in Indien, einen Rechtsanwalt“, erzählt Becker, „und ich habe ihn mal gefragt: Warum gehst du nicht in die Politik, um etwas zu verändern? Er sagte mir: Das ist wie am Strand zu stehen und eine 20 Meter große Welle aufhalten zu wollen.“
Mit dem wachsenden Rechtsruck sieht Becker die politische Kultur auch in Deutschland bedroht. „Mit ein Grund für den erstarkenden Ausländerhass ist die Angst vor allem, was fremd ist“, sagt Becker. „Andere Kulturen zu besuchen und zu entdecken, ist da das beste Heilmittel!“
>> Ledergeschäft begann auf dem Flohmarkt
Michael Beckers Firma „Enjoy“ hatte Fabriken in Italien, Türkei, Indien, Pakistan, Indonesien und Uruguay. „Die letzten Kontakte gingen bis in die Mongolei“, erzählt er. Anfangs, mit Ende 20, verkaufte er auf Flohmärkten alte Bücher und Schmuck – und entdeckte, wie lukrativ der Handel mit Lederwaren war. „So entwickelte sich die Firma.“
Heute verbringt Michael Becker seinen Ruhestand in Kämpen, restauriert alte Bibeln und ist Hobbyschäfer.