Witten. . Annas Mutter wurde beim Überqueren der Bebelstraße von einem Auto erfasst. Die Familie fordert an dieser Stelle mehr Schutz für Fußgänger.

„Es gibt keine Minute, in der man nicht an Mama denkt“, sagt Anna S. „Draußen fließt alles weiter, aber das eigene Leben bleibt plötzlich stehen.“ Die 32-Jährige, ihre drei Schwestern und ihr Vater leiden tagtäglich unter dem Unfalltod ihrer Mutter am 31. August auf der Bebelstraße. Sie kämpfen dafür, dass dieser Verlust Folgen hat: Dass die Stadt Fußgänger im Annener Zentrum besser sichert.

Die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle ist in Witten stark zurückgegangen, sagt Polizeisprecher Jens Artschwager. Im Jahr 2016 zählt die Statistik einen Unfall: Am Hellweg wurde eine 86-Jährige von einem Lkw erfasst. 2017 gab es einen tödlichen Unfall – den von Annas Mutter. Sowohl Anwohner am Hellweg als auch an der Bebelstraße beklagen, dass an diesen Stellen gerast werde. „Seit sieben Jahren arbeite ich hier. Ich sehe jeden Tag, wie die hier rasen, und habe immer befürchtet, dass mal was passiert“, sagt etwa Erol Yilmaz, Besitzer der Sonnen-Apotheke an der Bebelstraße 4.

Welpen im Auto gelassen

Was an jenem Donnerstagnachmittag, dem 31. August, passiert ist, weiß Anna S. nur aus dem Polizeibericht. Ihre Mutter parkte in der Bebelstraße. Ihren kleinen Hund, den Welpen Teddy, ließ sie im Auto. Die 57-jährige Stockumerin wollte schnell zur Post gehen und musste dazu nur die Straße überqueren. Sie wollte dies kurz vor der Verkehrsinsel an der Friedrich-Ebert-Straße tun. Mal eben quer rüberhuschen, das machen an dieser Stelle sehr viele Passanten.

Ein Porträt von Annas Mutter hängt in der Stadtgalerie. Die Stockumerin, Mutter von vier Töchtern, starb bei einem Verkehrsunfall in Annen.
Ein Porträt von Annas Mutter hängt in der Stadtgalerie. Die Stockumerin, Mutter von vier Töchtern, starb bei einem Verkehrsunfall in Annen. © Jürgen Theobald (theo)

Das Auto von rechts, aus Richtung Ardey kommend, hielt an. Annas Mutter überquerte die Straße. Sie hatte die Straßenmitte fast erreicht, als sie ungebremst von einem von links, also der Bahnschranke kommenden Auto erfasst und zu Boden geschleudert wurde. Sie fiel so schlimm auf den Kopf, dass sie sieben Tage später an ihren Verletzungen verstarb.

Dass sich keiner verabschieden konnte, macht alles noch schwerer. Sieben Tage lag die Mutter im Koma. Eine Frau, die ihre Tochter Anna als „quicklebendiges Stehaufmännchen“ und „positiv verrückt“ beschreibt. Die vierfache Mutter engagierte sich im Stockumer Pfarrbüro, war aktiv beim TuS. Allgegenwärtig bleibt sie auch, weil ein Porträt von ihr in der Stadtgalerie hängt.

Familie wartet auf Anklage

Ihr Mann und eine Tochter fuhren eine Stunde nach dem Unfall zufällig, auf dem Rückweg vom Einkaufen, an der Stelle vorbei. Das Auto mit dem Hund darin, die Absperrung, die Polizei, irgendwas stimmte nicht. Ein Polizist bestätigte der Familie die schlimme Vermutung.

Zur Beerdigung kamen etliche Stockumer, der gesamte Helfkamp, wo die Familie S. wohnt, und viele Freunde. Alle konnten es nicht glauben. „Die Menschen glauben doch, sie seien unsterblich.“

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Die Unfallverursacherin, eine 39-Jährige aus Annen, wollte sich wenige Tage später entschuldigen. Die Familie S. wies die Anfrage ab. „Das ist ein Fehler, den man jetzt noch nicht verzeihen kann. Vielleicht irgendwann. Da ist kein Hass, einfach nix. Wir wollten die Person nicht sehen“, sagt Anna. Die Familie wartet auf eine Anklage, doch die lasse auf sich warten.

Dass der Tod ihrer Mama mit jedem Tag ein wenig mehr in Vergessenheit gerät, will die Tochter verhindern. An der Bebelstraße mahnt eine kleine Gedenkstätte mit Blumen Autofahrer. „Meine Mutter war hoffentlich der erste und der letzte Todesfall an dieser Stelle.“

Stadt denkt über „Drängelgitter“ nach

Direkt nach dem tödlichen Unfall an der Bebelstraße hat sich die Stadtverwaltung die Situation vor Ort angesehen. Auch ein ortskundiger Polizist wurde zurate gezogen.

„Bekannt ist, dass es dort eine Situation gibt, in der Fußgänger nach Belieben die Straße überqueren“, sagt Sprecherin Lena Kücük. Eine Anfrage der Politik hat die Verwaltung gerade im Verkehrsausschuss beantwortet: Einen Zebrastreifen dürfe sie nicht einrichten, weil die Nähe zur abknickenden Vorfahrt die Gefahrenlage verschärfen würde. Aktuell werde geprüft, ob man stellenweise „Drängelgitter“ anbringt, um kenntlich zu machen, wo die Straße nicht überquert werden sollte. Dagegen spricht, dass damit eine zusätzliche Verengung des Gehwegraums für Kinderwagen, Rollatoren etc. verbunden wäre.

Erol Yilmaz, der Inhaber der Sonnen-Apotheke, sprach nach dem Unfall bei der Stadt vor – stieß allerdings auf Ablehnung. Yilmaz sorgt sich vor allem um die Bebelstraße, die zwar verkehrsberuhigt ist, von vielen Autofahrern aber wie eine Durchfahrtsstraße genutzt werde – die sie ja auch lange war. „Es gibt hier viele alte Leute durch die Seniorenresidenz und viele Kinder.“ Täglich sehe er Autofahrer, die viel zu schnell durch die Annener Mitte fahren. Sein Vorschlag wäre ein Huckel an der Einfahrt in den beruhigten Bereich der Bebelstraße.