20 Jahre Mauerfall - wie haben Sie diese Zeit erlebt? In einer neuen Serie fragen wir nach Geschichten, die Sie mit dem 9. November 1989 und der aufregenden Zeit danach verbinden.

Mauerfall

Am 9. November 1989 öffnete das DDR-Regime die Mauer.

Was haben Sie an jenem Donnerstag vor 20 Jahren gemacht? Können Sie sich erinnern, welches Gefühl Sie hatten, wie Sie diese Zeit erlebten? Sind Sie vielleicht selbst von Ostdeutschland nach Witten gekommen? Schreiben Sie uns: redaktion.witten@waz.de oder WAZ/WR-Redaktion, Bahnhofstr. 62, 58452 Witten.

Vor 20 Jahren war Keven Forbrig, der heute in Witten lebt und im Sommer 1989 das erste Mal in einem Pionierlager in Litauen, damals natürlich noch Litauische Sozialistische Sowjetrepublik, gesteckt hatte, gerade 13 Jahre alt geworden. Als seine Eltern im thüringischen Kölleda abends den Fernseher einschalteten, hörte er, wie sein Vater sagte: „Was geht da vor?” Dann wurde zwischen West- und Ost-Fernsehen hin- und hergeschaltet. Politbüro-Mitglied Günter Schabowski stotterte gerade: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Das war dieser Donnerstagabend, 9. November 1989, und die Mauer war offen.

20 Jahre Mauerfall: Keven Forbrig kam aus Thüringen nach Witten. Foto: Werner Liesenhoff
20 Jahre Mauerfall: Keven Forbrig kam aus Thüringen nach Witten. Foto: Werner Liesenhoff © WAZ

Tags darauf probierten die Forbrigs, ob das denn auch wirklich stimmte. Mit ihrem Lada fuhren sie in Duderstadt über die Grenze und sahen zuerst das Schild „Trabi-Town” und eine lange Schlange von Trabants und Wartburgs. „Die Freundlichkeit, die Herzlichkeit der Leute war beeindruckend. Es war eine ganz tolle Stimmung. Wir wurden auf der Straße zum Kaffee eingeladen, man spürte die Euphorie. So nah waren sich die Deutschen nie wieder.” Was ihm imponierte, sei Helligkeit und Sauberkeit gewesen: „In der DDR waren alle Häuser grau.”

Ein Lebenstraum wurde wahr

Für seinen Vater, einen überzeugten Sozialdemokraten, ging damit ein Lebenstraum in Erfüllung. Im Sommer 1989, als sie am Plattensee in Ungarn Urlaub machten, „da wollte er eigentlich in den Westen, weil er gespürt hatte, da ist was möglich. Doch meine Mutter war dagegen, und wir fuhren wieder in die DDR zurück.” Es war die wohl richtige Entscheidung.

Denn als das neue Schuljahr begann, lag eine Veränderung förmlich in der Luft. „Unser Staatsbürgerkunde-Lehrer wurde von Woche zu Woche ruhiger”, schmunzelt Keven Forbrig heute. Als sich dann die Mauer öffnete, „haben wir an Wiedervereinigung noch gar nicht gedacht. Viele hatten Angst, dass die Grenze nach einiger Zeit wieder dicht gemacht wird.”

Familie Forbrig war in Thüringen geblieben und hatte die Wende von dort verfolgt. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Betriebsleiter, Keven Forbrig studierte Jura in Jena. Vor dreieinhalb Jahren bewarb sich der Rechtsanwalt auf die Stelle des Wittener SPD-Fraktionsgeschäftsführers, wurde genommen und zog an die Ruhr. Längst hat er hier seinen Freundeskreis und eine Freundin in Bochum.

Verwerfungen durch Massenentlassungen

Und dann hört er manchmal so Sprüche wie „schade, dass die Mauer nicht mehr steht.” Was geht dann in ihm vor? „Es ist mir unverständlich, dass die Deutschen in Ost und West sich nicht sehr nahe gekommen sind. Die Verwerfungen, die dort durch die Massenentlassungen entstanden sind, kann sich hier niemand vorstellen. Im Osten dagegen hat man nicht gelernt, sich selber um seine Angelegenheiten zu kümmern, das hat alles der Staat geregelt.”

Manchmal hört man ihn, den ganz leichten Thüringer Akzent, wenn Keven Forbrig ins Schwärmen kommt, wenn er von der Kultur erzählt, „die wir auch hatten, das wissen die meisten hier gar nicht”, oder von Rotkäppchen-Sekt und besonderen Schokokugeln, die ihn an seine Kindheit erinnern. Und wenn er sich etwas mehr Verständnis füreinander wünscht, auf beiden Seiten der Elbe: „Über Jahrhunderte haben wir uns ein einheitliches Deutschland schwer erkämpft. Es müssten viel mehr Leute von hier in den Osten reisen.”