Witten.. Das Schutzhaus in Herbede bietet Zuflucht. Abido (13), Lara und Josefine (beide 10) erzählen, warum sie hier leben – und wie sie sich dabei fühlen.

Die Jüngeren sind im Kindergarten, irgendwer schläft noch, nur eine kleine Gruppe hat sich heute zum späten Frühstück am großen Tisch im Aufenthaltsraum versammelt. Auch im Schutzhaus an der Herbeder Meesmannstraße sind Sommerferien. Doch wer hier ist, der verbringt die schulfreie Zeit nicht mit der Familie. Weil die gerade nicht gut ist für die Kinder.

Oder nicht erreichbar – so wie bei Abido. Der 13-Jährige sitzt still daneben, während Lara und Josefine munter plappern – wie zehnjährige Mädels das eben so tun. Abido, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, lebt seit der Eröffnung im November 2015 in diesem Haus der Kinder- und Jugendhilfe Flow. Er stammt aus Syrien, lebte aber zuletzt im Libanon, so wie seine Eltern und Geschwister heute noch.

Sie vermissen die Familie

Kuscheln mit dem Lieblingstier hilft, wenn die Kinder im Schutzhaus mal traurig sind.
Kuscheln mit dem Lieblingstier hilft, wenn die Kinder im Schutzhaus mal traurig sind. © Barbara Zapka | Unbekannt

Und man mag kaum glauben, dass er selbst entschied: „Ich will weg aus einem Land, in dem ich nicht zur Schule gehen kann, weil sie zerstört ist, in dem ich immer zu Hause bleiben muss, weil es draußen zu gefährlich ist.“ Mit einem Onkel brach Abido auf. Und als er kurz darauf die Tragweite seines Entschlusses erkannte, da war es zu spät für eine Umkehr. Jetzt vermisst er seine Familie. Als er das sagt, schaut Josefine auf: „Tröste dich, wir vermissen unsere auch.“ Ein Smiley mit Tränen in den Augen – so fühle sie sich gerade.

Ständig hätten sich ihre Eltern gestritten, erzählt sie – so schlimm, dass mitten in der Nacht die Polizei im Haus war und das Mädchen häufiger in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht war. Lara geht es ähnlich. Im Herbeder Schutzhaus sind die beiden „beste Freundinnen“. Jede hat ein eigenes Zimmer – wie alle sieben jungen Bewohner – doch gern übernachtet die eine bei der anderen.

Stress mit der Mutter

Lara ist hier, weil sie Stress mit ihrer Mutter hat. Sie sei schon mehrmals von zu Hause abgehauen. „Wenn du das nochmal machst, musst du ganz aus deiner Familie raus“, hatte ihr jemand vom Jugendamt gesagt. Das war keine leere Drohung. Jetzt würde sie gern wieder zurück zu ihrer Mutter und den vier Geschwistern, mit denen sie dann auch nicht mehr so viel streiten will. „Aber mein Stiefvater war sehr krank und Mama hat zu viele Kinder und hat zu mir gesagt, dass das nicht geht.“ Noch nicht, ergänzt Einrichtungsleiter Sascha Rogowski. Denn vorrangiges Ziel sei immer die Rückkehr zur leiblichen Familie.

Das wird bei Abido nicht leicht. Dabei würde er, der schon gut Deutsch spricht, so gern mit den Seinen in Deutschland leben. „Weil es hier keinen Krieg gibt.“ Bis es soweit sein könnte, müssen die Fotos, die auf der Kommode in seinem Zimmer stehen, und die er auf dem Handy zeigt, reichen, um die Sehnsucht zu stillen. Und Ablenkung, die tut vor allem gut – auch den anderen. Im Phantasialand waren sie schon. Heute wollen sie klettern. Weitere Ausflüge sind geplant. Wie in einer richtigen Familie.

Die Kinder- und Jugendhilfe Flow

Die Bottroper Kinder- und Jugendhilfehaus gGmbH, die das Schutzhaus betreibt, heißt seit dem 1. Juli Kinder- und Jugendhilfe Flow. Die Namensänderung musste aufgrund einer Klage erfolgen. In Witten bietet Flow mehrere Betreuungsmöglichkeiten für vernachlässigte, misshandelte oder missbrauchte junge Menschen an.

In der Nähe des Schutzhauses gibt es eine Tagesbetreuung für neun Grundschulkinder. Ebenfalls in Herbede bietet Flow eine stationäre Intensivwohngruppe mit sechs Plätzen sowie eine Jugendwohngruppe mit neun Plätzen an. Die Angebote unterscheiden sich im Betreuungsschlüssel. In der Intensivgruppe steht ein Betreuer pro Bewohner zur Verfügung, in der anderen Gruppe gibt es einen Betreuer für zwei Jugendliche. In der Nordstraße – im ehemaligen Liegenschaftsamt – stehen eine ambulante und eine Wohngruppe zur Verfügung.

Das neueste Projekt: „Die Stadt hat uns seit Mai ein Haus an der Pferdebachstraße untervermietet, in dem 16- bis 18-Jährige leben, auch minderjährige Flüchtlinge“, so Flow-Geschäftsführer Hermann Muß. Alle Plätze sind belegt. „In den letzten Wochen musste ich für 20 bis 30 Kinder Absagen erteilen.“ Wenn die Kinder dadurch nicht weiter gefährdet sind, können sie übrigens Kontakt zu ihren Eltern haben, im Zweifelsfall auch mit Betreuer