Dortmund. In den betroffenen Familien ist die soziale Verwahrlosung so groß, dass das Jugendamt eingreifen muss. Die Folgen für die Kinder sind dramatisch.
Sie aßen Tapeten, Katzen- oder Hundefutter, bestenfalls ungekochte Nudeln. So groß war der Hunger, aber niemand zu Hause gab den Kindern etwas zu essen. In Dortmunder Familien kommt es immer häufiger zu Vernachlässigungen, die so gravierend für den Nachwuchs sind, dass das Jugendamt eingreifen muss.
Das städtische Institut für erzieherische Hilfen sucht jetzt händeringend nach ausgebildeten Pädagogen mit eigener Familie, die zusätzlich zwei, drei Kinder aus vernachlässigtem Elternhaus bei sich aufnehmen können. 55 Kinder zwischen 2 und 18 Jahren leben aktuell in 15 Wohngruppen.
Jugendamt sucht auch in anderen Städten nach Familien
Im Herbst sollen es 60 Kinder sein, die auf diese Weise eine neue Zukunftschance erhalten. Die Stadt peilt aber langfristig 70 Plätze an, da schon jetzt der Bedarf so hoch ist, dass sich Dortmunds Jugendamt auch außerhalb der Stadt um die Unterbringung von Kindern aus Problemfamilien bemühen muss.
Martina Skender, Leiterin des Instituts für erzieherische Hilfen, spricht von "kaputten Kindern", von Kindern ohne Bindung und Selbstwertgefühl, von jungen Mädchen, die sich ritzen, die Schizophrenien entwickeln, von Kindern, die ihr Heil im Lügen suchen, die Schule verweigern oder sich eine Scheinwelt erschaffen haben.
Sie haben zu Hause Gewalt erlebt unter ihren Eltern, gegen sich selbst, Missbrauch, Sucht und völlige Überforderung eines - meist allein erziehenden - Elternteils. "Wir hatten hier ein Kind, das konnte mit drei Jahren nicht einmal einen Löffel in den Mund nehmen", sagt Skender, "es war nie gefüttert worden."
Pädagogen für vernachlässigte Kinder gesucht
Die Sozialarbeiterin sieht die Ursprünge zunehmender Verwahrlosung in unser Gesellschaft, die sich permanentem Leistungsdruck beugen müsse. Prekäre Arbeitsverhältnisse, meistens nur befristet und schlecht bezahlt, Dienste auch an Wochenenden führten zu Ängsten, Perspektivlosigkeit, Zeitverknappung und dauerhafte Erschöpfung.
Damit es den Kindern besser geht, bis sie auf eigenen Beinen stehen können, werden pädagogisch ausgebildete Fachleute gesucht, die in einem möglichst großen Privathaushalt, idealerweise mit Garten, zwei oder drei vernachlässigte Kinder aufnehmen und erziehen können.
Hohe Anforderungen, gutes Geld
Sie übernehmen eine hohe Verantwortung und sind rund um die Uhr gefordert. Deshalb müssen die Erzieher viele Voraussetzungen mit sich bringen, in mehreren Bewerbungsgesprächen bestehen und sich auch unangenehme Fragen gefallen lassen. Zuletzt hatte es 2011 einen Missbrauchsfall in einer Wohngruppe gegeben, gemeldet von der Ehefrau des Leiters der Gruppe. Deshalb wurden die Hürden für die Leitung einer solchen Gruppe erhöht.
Die Arbeit als Ersatzvater oder -mutter wird allerdings sehr gut entlohnt. Es winkt das eineinhalbfache Tarifgehalt. Das entspricht bei der Betreuung von drei Kindern in einer Wohngruppe etwa 5700 Euro brutto. Dazu kommen weitere Zahlungen für Miete, Essens- und Bekleidungszuschüsse, Taschengeld für die Kinder, Geld für Haushaltshilfen und pädagogische Aushilfskräfte.
Mehr Informationen erhalten interessierte Erzieher oder Sozialarbeiter beim städtischen Institut unter Tel. (0231) 50 29 180.