Witten. Bürgermeisterin Sonja Leidemann spricht im Interview über Erfolge und Misserfolge ihrer elfjährigen Amtszeit und darüber, warum sie wieder kandidiert.
Mit einem Acht-Punkte-Vorsprung auf Frank Schweppe geht Amtsinhaberin Sonja Leidemann am Sonntag (27.9.) in die Bürgermeister-Stichwahl. Das Lokal für eine Siegesfeier ist zwar schon gebucht.
Doch die unabhängige Einzelkandidatin, die zweimal erfolgreich für die SPD kandidierte, will weiter um jede Stimme kämpfen. Im Interview stellt sich die 55-Jährige auch unbequemen Fragen.
Sie liegen zwar vorne, absolut mit 2500 Stimmen. Gelingt es Ihrem Herausforderer, mehr Wähler auf die Beine zu bringen als beim letzten Mal, könnte es für Sie aber noch mal eng werden. Wie eng?
Leidemann: Die Stimmungslage im Moment ist gut, das erlebe ich fast jeden Tag im Wahlkampf. Das gilt auch für die Motivation meiner potenziellen Wähler. Ich sage Ihnen immer: Jede Stimme zählt.
Ohne erneut ergründen zu wollen, warum die SPD Sie nicht mehr aufgestellt hat: Warum haben Sie sich dennoch zu einer dritten Kandidatur entschieden? Kleben Sie so an der Macht?
Leidemann: Nein, ich klebe nicht an der Macht. Ich möchte viele angefangene Projekte zuende führen. Die SPD hat im Kommunalwahlkampf 2014 gesagt, es waren gute Jahre für Witten. Das möchte ich fortführen.
Woran denken Sie zum Beispiel?
Leidemann: Wir haben 60 Monate Rathaussanierung vor uns. Es gilt, die Stadtteilrahmenpläne anzupassen, da fangen wir wieder mit Stockum an. Dann gibt es das Projekt „Soziale Stadt Heven“. Außerdem hoffe ich endlich auf einen „Masterplan Wirtschaft“.
„Eigentümer müsssen mitmachen“
Die auf Ihrer Internetseite veröffentlichte Leistungsbilanz ist sehr lang. Es gibt aber auch Misserfolge wie die untere Bahnhofstraße. Trotz Stadtgalerie wurde sie nicht belebt. Wie stellen Sie sich dort eine „Revitalisierung“ vor?
Leidemann: Wir können dort nur so weit Handlungsmöglichkeiten über die Stadt organisieren, wie Eigentümer bereit sind, mitzumachen. Wären die u.a. von Franz-Josef Meyers, dem verstorbenen früheren Volksbank-chef (Anm.d.Red.) initiierten Immobilienstandortgemeinschaften zustande gekommen, hätten wir Fördergelder in Höhe von 250 000 Euro erhalten. Trotz alledem ist viel gelungen, etwa die Verbindung vom Hauptbahnhof zur Stadtgalerie. Außerdem gibt es den Aufruf, leer stehende Ladenlokale für Wohnraum zu öffnen.
Wie konkret ist das?
Leidemann: Das gehört zum Stadtentwicklungskonzept. Wir sind auch im Gespräch mit dem Wiesenviertel, im Bereich untere Bahnhofstraße ein Wohnprojekt zu entwickeln, vielleicht für Flüchtlinge, eventuell auch mit dem Novum.
Man sieht Sie in dieser Ecke aber eher selten. Gehen Sie da überhaupt entlang?
Leidemann: Natürlich, ich war erst zur Eröffnung der „Busenfreundin“ dort unten im Breddeviertel. Das begleiten wir auch intensiv mit dem Stadtmarketing. Gleichzeitig muss man feststellen, dass sich die Einkaufsbereiche wie in allen Städten verdichten. Wichtig ist daher auch ein Signal an die obere City, dass Kaufhof hier bleibt. 150 Leute mehr, die nach einem Umbau im Rathaus arbeiten, sind ein Signal.
Was geschieht mit dem Kornmarkt, wenn sich kein Investor findet?
Leidemann: Wir können die Investoren nicht vom Himmel fallen lassen. Es gibt aber auch Interessenten vor Ort. Die Frage ist. ob man dann eine andere Bebauung organisieren muss. Der Rat muss darüber entscheiden.
„Land hat Zuschüsse für Straßen deutlich reduziert“
Thema Straßen. Bodenborn, Husemann-, Berger-, Unistraße und teilweise die Wittener wurden zwar saniert. Dennoch: Fahren Sie mal Bus? Da werden Sie richtig durchgeschüttelt. Hätte da in elf Jahren nicht mehr passieren müssen?
Leidemann: Wir haben auch die Crengeldanzstraße gemacht. Sprockhöveler Straße und Pferdebachstraße sind in Planung. Leider hat das Land die Zuschüsse deutlich reduziert. Ursprünglich war die Pferdebachstraße für 2015 angedacht. Das zieht sich nun nach hinten raus. Wenn der Haushalt ausgelutscht ist, muss man immer abwägen, was man machen soll: Schulen, Kitas, Straßen? Die Politik muss Prioritäten setzen. Wir haben erheblich in den U-3-Ausbau investiert, fast alle Grundschulen saniert und setzen das in den weiterführenden Schulen fort.
Sie halten einen Neubau in Vormholz nicht für ausgeschlossen. Manche schätzen die Kosten auf zehn bis 15 Millionen Euro. Wie passt das mit Ihrem Sparkurs zusammen, für den Sie auch stehen?
Leidemann: Den Standort der Hardensteinschule zu erhalten, ist eine Aussage der Groko. Viele Kinder kommen aus anderen Städten. Man muss abwägen, ob man saniert oder neu baut, womöglich auch über eine Schulpauschale. Ich habe nichts versprochen, wir prüfen. Auch das Land muss hier noch mal umdenken. Wenn wir für andere Kinder Plätze in unseren Schulen vorhalten und dafür Steuern erhöhen müssen, ist das eine Schieflage.
„Es gibt auch Bürger, die 20 Euro spenden“
Thema Wirtschaft. Hat man bei der Entwicklung neuer Gewerbeflächen in den letzten elf Jahren geschlafen? Die heutige Entwicklung kam doch nicht überraschend.
Leidemann: Wir haben nicht geschlafen. Es wurden alle Mittel ausgeschöpft, eigene Flächen zu entwickeln, nehmen Sie den Güterbahnhof Witten-Ost, Bebbbelsdorf oder Drei Könige. Auch die Lohmann-Erweiterung fiel nicht vom Himmel.
Thema Wirtschaft und Wahlkampf. Sie haben gute Kontakte. Unternehmen wie Ostermann oder Edeka-Investor Dreier haben aktuell oder in der Vergangenheit für Sie gespendet. Wie hoch waren diese Spenden? Beinträchtigen sie nicht die Unabhängigkeit Ihres Amtes?
Leidemann: Zur Höhe sage ich nichts, die Zahlen sind ja bekannt. Ich betone, dass ich immer einen erheblichen Teil meines Wahlkampfes selbst bezahlt habe.
Aktuell war von 6000 Euro Wahlkampfspenden die Rede...
Leidemann: ...aus unterschiedlichen Quellen, nicht von Ostermann allein. Es gibt auch Bürger, die 20 Euro spenden. Es ist aber ganz legitim, dass Unternehmen im Wahlkampf spenden. Entscheidungen, etwa über Grundstücke, sind davon natürlich unberührt. Darüber entscheide doch nicht ich, sondern die Gremien, die auch Bebauungspläne aufstellen. Spenden, die 2009 eingeworben wurden, hat übrigens die SPD einbehalten.
Also keine Beeinträchtigung Ihrer Unabhängigkeit durch Spenden?
Leidemann: Entschuldigen Sie, was war denn in der Vergangenheit mit Trepper oder Lohmann? Auch in anderen Städten ist das genauso üblich.
„Ich habe meine Tür nie zugeschlagen“
Wenn Sie am Sonntag gewinnen: Werden Sie auf die große Koalition zugehen? Kritiker sagen, dass Ihr Dauerstreit mit den Spitzen aus SPD und CDU die Stadt lähmt.
Leidemann: Ich habe meine Tür nie zugeschlagen und hoffe, dass es weiter eine sachorientierte Politik zum Wohle der Bürger gibt. Woran will man denn eine Lähmung festmachen? Die Frage, wie wir den Haushalt in den Griff bekommen, ist keine Frage, wer Bürgermeister ist oder bleibt. Es ist eine Frage der Sachzwänge, die uns von außen auferlegt werden.
Was kommt auf die Bürger noch zu, Stichwort Steuerhöhungen?
Leidemann: Über 910 Punkte bei der Grundsteuer können wir nicht hinausgehen. Bei den Flüchtlingen haben wir außerplanmäßige Ausgaben von 4,5 Millionen Euro. NRW hat die niedrigste Rückerstattungsquote. Diese Kosten bereiten mir im Moment große Kopfschmerzen. Es gibt noch keine Kostenzusage des Landes. Wir können aber nicht immer weiter Steuern erhöhen und gleichzeitig die wenigen freiwilligen Leistungen wie Kultur auch noch streichen. Irgendwann sind die Ruhrgebietskommunen ausgeblutet. Der Drops ist ausgelutscht.