Bochum-Wattenscheid. 500 Schmerzpatienten in Bochum-Wattenscheid stehen kurzfristig ohne ihre Stammärztin da. Und das ist kein Einzelfall. Laut dem Berufsverband Schmerztherapeuten NRW ist die Versorgung in ganz Deutschland mangelhaft, „im Ruhrgebiet sowieso“. Der Personalmangel soll strukturelle Gründe haben.
Heinz Schmidt (Name geändert) und seine Frau haben Schmerzen. Die Wattenscheider sind über 70, gegen Schmerzen in Wirbelsäule, Hüfte und Knie bekommen sie Opiate, verschreibungspflichtige. Mitte September bekamen sie von ihrer Schmerztherapeutin einen Brief: Nach Weggang ihrer Kollegin sei diese nunmehr von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) „auf die Behandlung von 550 Schmerzpatienten pro Quartal beschränkt“, heißt es, „was bedeutet, dass wir uns nun von mehr als 500 chronischen Schmerzpatienten verabschieden müssen.“
Es wäre, so Dr. Bettina Claßen, grober Leichtsinn und nicht vertretbar, starke Schmerzmedikamente zu verschreiben, wenn man nicht mindestens einmal im Quartal im persönlichen Gespräch die Therapie überprüfen könnte.
Das Fachgebiet trocknet aus
Die Ärztin weist auf ein allgemeines Kapazitätsproblem in der speziellen Schmerztherapie hin: „Erklären sie mal einem Über-80-Jährigen mit erheblichen Schmerzen, dass er erst in einem halben Jahr einen Termin bekommt“, berichtet sie aus der Praxis. Sie listet für ihre Patienten alternative Anlaufstellen in Bochum und Umgebung auf, darunter auch das Bergmannsheil als größte Schmerzambulanz in Bochum. Doch auch diese verzeichnet jüngst „eine erhöhte Nachfrage“, so Sprecher Robin Jopp. „In diesem Zuge kann es zu höheren Wartezeiten kommen.“ Dr. Kemal Salem, Sprecher des Berufsverbands Schmerztherapeuten NRW, sagt der WAZ, die Versorgung in ganz Deutschland sei mangelhaft, „im Ruhrgebiet sowieso“.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) genehmigte Dr. Claßen schließlich eine zweite Schmerztherapeutenstelle als Sonderbedarf. Doch habe die Ärztin diese schlicht nicht besetzen können. Etliche Fachzeitschriften sei sie durchgegangen und habe telefoniert -- ohne Ergebnis. Der Grund: unnötig hohe Zulassungshürden für eigentlich längst ausgebildete Schmerztherapeuten. Die bundesweite „Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten [...]“ enthalte u.a. die für niedergelassene Ärzte und Chefärzte demotivierende Anforderung, zur Vervollständigung ihrer Ausbildung ihre reguläre Tätigkeit zwölf Monate ruhen zu lassen, um in einer zugelassenen Schmerzambulanz zu arbeiten, von denen es jedoch auch immer weniger gebe. So trockne das Fachgebiet auf Dauer aus.
Der Bund ist gefragt
Bettina Claßens Forderung: Die Qualitätsvereinbarung müsse abgeändert werden, ferner solle die Schmerztherapie – aktuell kein eigener Bestandteil der gesetzlichen Bedarfsplanung – in den regulären Bedarfsplan der KVen aufgenommen werden. Beides Punkte, die ggf. auf Bundesebene erkannt und gelöst werden müssten, etwa von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Krankenkassen, verweist die hiesige KV weiter.
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Dr. Bettina Claßen bemüht sich indes weiter um eine Lösung vor Ort; die Patienten suchen zeitnahe Schmerzbehandlung. Die Schmidts aus Wattenscheids hatten Glück: Sie haben nach nur sechs Wochen Wartezeit einen Termin in einer Praxis in Herne bekommen. Die beiden Senioren suchen allerdings weiter nach Praxen in der Nähe.