Wattenscheid-Mitte. Der Vortrag von Archivar Andreas Halwer über Wattenscheid vor 100 Jahren streift die Zeit nach dem Krieg. Langsam kehrte wieder Normalität ein.
„Bin soeben glücklich in Wattenscheid angekommen“: Mit einem Optimismus ausstrahlenden Postkarten-Motiv, das typisch für die Epoche ist, trat Archivar Andreas Halwer eine Zeitreise in das Jahr 1920 an. Wattenscheid vor 100 Jahren - unter diesem Motto stand die jüngste Veranstaltung im Gertrudiscenter, wieder in der bewährten Kooperation mit der Stadtbücherei, dem Stadtarchiv und der VHS.
Glücklich angekommen. In einer Stadt, die gemeinsam mit den damals noch selbstständigen Ämtern rund 62.000 Einwohner zählt. Das Frühjahr vor einem Jahrhundert ist auch in der Alten Freiheit nicht von Glück überschattet. Der Kapp-Putsch in Berlin, ausgelöst am 13. März 1920 durch rechtsradikale Kräfte, bringt die junge Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkriegs. Die Situation eskaliert auch in Wattenscheid.
Scharmützel zwischenPutschisten und Gegnern
Archivar Halwer belegt dies in seinem gewohnt gut bebilderten historischen Rückblick mit ausführlichen Berichten der Allgemeinen Wattenscheider Zeitung. Im Bereich der Hüller Straße und der Vorstadtstraße fallen in den Morgenstunden des 16. März 1920 die ersten Schüsse. Das Feuergefecht zwischen Putschisten und Gegnern eskaliert. In der Innenstadt bleiben Tote und Verwundete zurück.
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Laut der AWZ trafen damals zwei Lastwagen unbekannter Herkunft mit 40 bewaffneten Männern ein - die als Initiatoren der Auseinandersetzung ausgemacht wurden. Der Putsch in Berlin wurde schon nach vier Tagen niedergeschlagen. Die Ereignisse, auch aus lokaler Perspektive prägend für das Jahr 1920, hatten ein martialisches Nachspiel.
Fünf Tage Suche nachversteckten Waffen
Die AWZ notiert am 15. April 1920: „Wattenscheid wird durch etwa 1000 Mann starke Reichswehrtruppen besetzt.“ Da immer noch zahlreiche Waffen illegal gelagert werden, darunter auch Maschinengewehre und Handgranaten, durchkämmen die Soldaten verdächtige Stellen, auch in Leithe und Westenfeld. Der größte Teil der Einheiten rückt bereits am 20. April wieder ab.
007 und die Alte Freiheit
Andreas Halwer betont in seinem Rückblick die große Bereitschaft der Bevölkerung, dem teilweise tristen Alltag zu entfliehen. Die viel beschworenen goldenen zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts weisen in der Alten Freiheit markante edelmetallhafte Züge auf.
Der goldene Sonntag, so heißen damals die verkaufsoffenen Sonntage vor dem Weihnachtsfest. Goldfinger, kongenial dargestellt von Gerd Fröbe, heißt ein berühmter Gegenspieler von Bond, James Bond. Jener weltberühmte britische Agent im Geheimdienst Ihrer Majestät, der vor einem Jahrhundert, am 11. November 1920, geboren wurde. In Wattenscheid, wie immer wieder untermauert wird, zuletzt von der Initiative Mittendrin beim Themenabend im ehemaligen Ladenlokal an der Bochumer Straße. https://www.waz.de/staedte/wattenscheid/initiative-mittendrin-holt-james-bond-endgueltig-nach-wat-id227481639.html
Auf politischer Ebene normalisieren sich die Verhältnisse, Dr. Paul Ueberhorst tritt im Mai sein Amt an, zunächst als Bürgermeister und ab 1927 bis 1933 als Oberbürgermeister der Stadt.
Normalität gekoppelt mit möglichst viel Abwechslung im gesellschaftlichen Leben machen sich allmählich wieder breit. Es ist die große Zeit für Tanzveranstaltungen, etwa im Saal der Kronenburg an der Weststraße, man vergnügt sich im Kino. Beliebt ist eine Adresse an der Oststraße, das spätere Kino Schauburg.
Oder feiert Vereinsjubiläen - gleichgültig, ob es sich um runde oder unrunde Zahlen handelt. Pate stehen dafür der Turnclub Wattenscheid, die Kaninchenzüchter aus Stadt und Amtsgemeinden oder Gesangsvereine. https://www.waz.de/article225939965.ece