Wattenscheid-Mitte. Halina Birenbaum (90) erzählt im Wattenscheider Gymnasium aus ihrer Kindheit in Ghetto und KZ. 90 Minuten fesselt ihre Geschichte 200 Schüler.

Über 90 Minuten redet sie frei, nutzt keine Notizen, kein Manuskript, setzt sich dabei nicht einmal für einen Moment, und zieht ihre gut 200 Zuhörer der Märkischen Schule in der Stadthalle in ihren Bann. Halina Birenbaum will „den Opfern ein Gesicht geben“. Unzählige Erinnerungen aus ihrer Kindheit im Warschauer Ghetto und im Konzentrationslager werden an diesem Morgen lebendig.

Die 90 Jahre alte Schriftstellerin macht das sehr eindringlich, persönlich, fesselnder als ein Buch oder ein Film das vielleicht könnten.

Gebannt verfolgen gut 200 Schüler, Kollegiumsmitglieder und Elternvertreter die Erzählungen der Zeitzeugin.
Gebannt verfolgen gut 200 Schüler, Kollegiumsmitglieder und Elternvertreter die Erzählungen der Zeitzeugin. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Birenbaum wurde 1929 in Warschau geboren. Nach dem Überfall der Wehrmacht 1939 auf Polen musste ihre Familie in das Warschauer Ghetto übersiedeln, 1943 wird sie in das KZ Majdanek und von dort nach Ausschwitz-Birkenau deportiert. 1947 emigriert sie nach Israel. Diese nüchternen biografischen Daten bilden den Rahmen für eine Lebensgeschichte, die den Schülern nahe geht.

Der Alltag zwischen Angst und Hoffnung

Denn es sind Umstände, die sie sich kaum vorstellen können. Von unerträglicher Enge in den Baracken des Konzentrationslagers, vom Sprachgewirr zwischen den Juden aus Ungarn oder Griechenland und den Polen. Von der Angst, wenn der Name aufgerufen wird, wissend, dass die Gaskammer droht. Von der Angst vor Krankheiten („weiße Zunge bedeutet Typhus, bedeutet Gaskammer“).

„Die Russen sind nicht weit“, verbreitet sich als Hoffnungszeichen im Lager, in dem 16 hungernde und geschwächte Menschen sich auf einer einzigen Pritsche drängen „wie Sardinen in der Büchse“. Immer wieder fragt sich das 14-jährige Mädchen Halina: „Was habe ich getan? Was ist das für eine Strafe?“ Schon ihre Schilderungen aus dem Warschauer Ghetto sind schrecklich, Gänsehaut erzeugt es, als sie erzählt, „der Stempel für die Arbeitstauglichkeit, das war ein Stempel: Lebensrecht“, und für den mussten sie die Wachen bestechen.

Die Autorin

1967 erscheint Halina Birenbaums erstes Buch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ in ihrer Muttersprache polnisch. Es folgen schnell die englische und deutsche Übersetzung und heute liegt das Buch in zehn Sprachen vor. Das Leben und der Tod in der Besatzungszeit, das Martyrium der polnischen Juden in den Ghettos und in den Konzentrationslagern bilden bis heute das Hauptthema ihrer Prosa und Dichtung. 1986 kehrt sie erstmals nach Auschwitz zurück, in den folgenden Jahren werden ihre Besuche in Polen häufiger. Als Zeitzeugin arbeitet sie mit den pädagogischen Mitarbeiten in Auschwitz zusammen, inzwischen auch als Sprecherin des Komitees der Auschwitz-Überlebenden.

Von Halina Birenbaum sind als Buch verlegt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, Hagen 1989, Auschwitz 1993 ff/ Frankfurt 1995 ff; „Rückkehr in das Land der Väter. Erinnerungen“, Frankfurt 1998; „Ich suche das Leben bei den Toten“, Berlin 2019, Metropol Verlag.

Geschichtslehrer Torben Benemann ist, wie alle hier und heute, beeindruckt. „Es hat sich gerade die Gelegenheit gegeben, Halina Birenbaum ist für zwei Wochen in der Region unterwegs.“ Denn am Montag (27.) ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

„Was hat Ihnen Kraft gegeben?“

Halina Birenbaum lässt den Spannungsbogen abrupt enden, nennt nur noch das Datum der Befreiung aus dem KZ im Mai 1945, lächelt in die Runde: „Ich danke Euch.“ Sofort klatschen alle. Fragen dürfen gestellt werden, eine ganze Zeit lang herrscht völlige Stille, bis sich ein Schüler traut: „Was hat Ihnen Kraft gegeben?“

Wieder lächelt sie: „Ich wollte nicht sterben, ich wollte die Sonne sehen, das Licht. Ich wusste, die Welt ist nicht so schlecht.“