Vest. „Kommse auffe Halde im Sturmesbrausen und alles, watte wills is... Recklinghausen!” Im Kulturhauptstadtjahr 2010 sollen Touristen in Scharen ins Ruhrgebiet kommen. Ein Selbstversuch, was die Gegend zu bieten hat.

„Und wennze mich fragst, wat soll ich noch hier, dann komm doch ma gucken, dann zeig ich et dir” (Frei nach Gerburg Jahnke): Attraktionen gibt es zwischen Haltern am See und Recklinghausen viele. Und damit die Welt davon erfährt, wie schön es hier ist, erscheinen kurz vor dem Kulturhauptstadt-Jahr dutzende Reiseführer. Doch wie sehen die Empfehlungen für die Touristen aus? Was sollen sie sich anschauen? Und vor allem, wie kommt man dort hin? Ein Selbstversuch.

Wie kommt man hin?

Zugegeben, ganz fremd ist mir das Revier nicht – aber in diesen Breitengeraden des Ruhrgebiets kenn' ich mich nun gar nicht aus. Ideale Voraussetzungen also, um als Tourist loszuziehen. Mit dem Auto geht's kreuz und quer durchs Vest. Zeche „Ewald” ist schon von der Autobahn gut zu erkennen. Die Frage ist nur – wie kommt man hin? Die Wegbeschreibung liegt natürlich im Drucker. Einen Stadtplan gibt's im Auto nicht, aber der Begleiter schwärmt von seinem großartigen Orientierungssinn – und fährt prompt in die falsche Richtung. Es soll nicht das letzte Mal sein, das wir verzweifelt durch die Gegen kurven. Doch ganz verloren sind wir nicht. Wo Passanten, Tankstellen-Mitarbeiter und Büdchen-Besitzer sind, ersetzen sie jedes Navi und lotsen uns stets zu den Sehenswürdigkeiten.

Als der Aufstieg der Halde Hoheward beginnt, fängt's natürlich, an zu regnen. Falsch: es pladdert und platscht wie aus Kübeln. Nun gut, das Ruhrgebiet ist nicht gerade als sonnige Region verschrien. Also Zähne zusammenbeißen und los. Unterwegs begegnen uns Jogger, Hundebesitzer und allerlei andere wetterfeste Besucher. „Schiet Wetter” nörgeln sie und ziehen die Kapuze tief ins Gesicht. Je weiter wir nach oben kraxeln, umso mehr gleicht der Fleck einer Mondlandschaft. Ein Blick ins Umland zeigt die Vielfältigkeit des Vests. Hier Industriekulisse, dort Wald. Es sind diese Kon-traste, die alle Reiseführer preisen. Und so abwechslungsreich ist denn auch die Route. Weiter geht's nämlich ins Alte Dorf Westerholt.

Besser als sein Ruf

Wer hätte so ein idyllisches Fachwerk-Ensemble hier vermutet? Dieser Ausflug ist die Überraschung des Tages. Etwas verschlafen sieht es aus. Auf den Straßen sind kaum Leute unterwegs. Die Kirchenglocken läuten und in einem Schaukasten kündigt der Heimatverein seine nächsten Termine an. Die Fenster sind hübsch dekoriert. Am Markt entdecken wir die kleinste Kaffeebrennerei. Genau der richtige Ort, um zu Verweilen und dem nächsten Schauer zu entgehen.

Der nächste Anlaufpunkt ist ein Vorzeigeprojekt der Route Industriekultur: Zeche Waltrop. Während sich die Herren lieber die Fahrrad-Unikate anschauen, stöbern die Damen bei Manufactum. Der Ort hat Flair. „Wir mögen die Route der Industriekultur, weil sie so viel Abwechslung bietet”, erklärt Silvia Knies. Sie ist mit der ganzen Familie aus Hattingen angereist. „Eigentlich braucht man keinen Reiseführer, man kann sich an den braunen Schildern orientieren. Da sind alle Bauwerke interessant”, findet sie. Das Ruhrgebiet sei viel besser als sein Ruf.

Rolf Wachsmut und Siegfried Neumann genießen eben diese Schönheit. In den Abendstunden kommt tatsächlich die Sonne heraus. Der rote Ball spiegelt sich im Datteln-Ems-Kanal. Die beiden sitzen auf einem Steg und halten ihre Angeln ins Wasser. Die Fische beißen gut. „Früher war das noch besser, da hatten wir hier richtig Dicke drin”, erinnert sich Rolf Wachsmut. Seit Jahren ist dieser Platz ihr Lieblings-Ort im Revier. Was die beiden wohl davon halten, dass das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt ist? Klare Antwort von Siegfried Neumann: „Mit Kultur hab' ich nix am Kopp. Aber schön isset hier!”