Essen. Das Kulturhauptstadtjahr steht fast vor der Tür, aber was soll das ganze überhaupt und wer soll das bezahlen? 13 Fragen, 13 Antworten. Was Sie schon immer über Ruhr.2010 wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.

1. Was ist das eigentlich, Kulturhauptstadt?

Kein überflüssiges Trallafitti, sondern vor allem der Versuch, den Tourismus zu beleben. Im Ruhrgebiet geht es 2010 aber um mehr: Nachdem Kohle und Stahl die Region nicht mehr prägen, will sie ihr Image als Dreckschleuder der Nation loswerden.

2. Wie wurden wir Kulturhauptstadt?

Eine Jury der Europäischen Union hat uns 2006 aus neun deutschen Bewerbern ausgewählt. Dabei spielte die Industriekultur eine Rolle, ausschlaggebend war auch, dass im Ruhrgebiet Migration seit langem gelebt wird; es gibt hier 170 Nationen. Und es wurde positiv bewertet, dass alle 53 Städte dabei sein wollten, obwohl eine Region offiziell nicht Kulturhauptstadt sein kann. Die heißt deshalb korrekt: „Essen für das Ruhrgebiet”, nennt sich aber inzwischen „Ruhr.2010”.

3. Was kostet das Ganze?

65 Millionen Euro. Davon sind 48,5 Mio öffentliche Gelder: 1,5 Mio von der EU, 17 Mio vom Bund, 12 Mio vom Land NRW, 12 Mio vom Regionalverband Ruhr und 6 Mio vom Bannerträger Essen. Hauptsponsoren sind die Deutsche Bahn, Eon Ruhrgas, Haniel, RWE und die Sparkassen-Finanzgruppe.

4. Es gibt hier schon so viel Kultur – kann man das Geld nicht vernünftiger ausgeben?

Unvernünftig wäre es nur, das Geld, das die Politik zur Verfügung stellt, nicht zu nehmen. Die Städte haben vom Land zwei Euro pro Einwohner bekommen – in Bochum zum Beispiel leben 380 000 Menschen, macht 760 000 Euro für Projekte der Kulturhauptstadt. Denn das Geld ist natürlich zweckgebunden. Geld für Kultur auszugeben, ist im übrigen sehr vernünftig – wer an Kunst und Bildung teilhat, gewinnt Lebensfreude. Und Studien zeigen, dass Kunst die Kommunikation fördert und die Gewaltbereitschaft verringert.

5. Haben Orchester, Museen, Theater in der Region etwas von der Kulturhauptstadt?

Ja, schon deshalb, weil sie angefangen haben zu kooperieren. Bei einem Projekt, das den Komponisten Hans Werner Henze vorstellt, arbeiten 30 Institutionen zusammen, von der Konzertgesellschaft Gelsenkirchen bis zur Deutschen Oper am Rhein. Die „Odyssee Europa” führen sechs Theater gemeinsam auf und die Kunstmuseen planen Ausstellungsreisen. Ruhr.2010 weist nachdrücklich auf das reiche Angebot an Kunst und Kultur in der Region hin, und das ist gut so: Denn bisher fahren nur selten Theaterfreunde von Dortmund nach Mülheim oder von Bochum nach Essen, obwohl es dort überall großartiges Schauspiel gibt und die Wege kurz sind. Ähnliches gilt für die Konzerthäuser.

6. Wer macht das Programm der Kulturhauptstadt?

Dazu wurde eine Gesellschaft gegründet; Geschäftsführer sind der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen und der ehemalige Essener Kulturdezernent Oliver Scheytt. Sie haben die Künstler der Region aufgerufen, Ideen einzureichen – es kamen über 2000; 300 werden verwirklicht.

7. Was passiert mit Ideen, die nicht angenommen wurden?

Das ist ein Problem. Immerhin sind 1700 Ideen auf der Strecke geblieben, und das ärgert die Betroffenen. Die Städte, die einen Teil dieser Ideen übernehmen wollten, können das in der Finanzkrise meist nicht wahrmachen. Jetzt hat sich der gemeinnützige Verein „unprojekte 2010” gegründet, der abgelehnte, nicht eingereichte und neue Projekte vorstellt und Sponsoren sucht: www.unprojekte2010.de

8. Macht Ruhr.2010 nicht zu viel bunten Hokuspokus?

Nein. Das Programm hat von allem und für alle etwas: Breakdance für Jugendliche, stimmungsvolles Licht am Kanal, Vorlesen für Kinder, gemeinsames Singen, neue und alte Museen, Computerspiele, klassische Konzerte, einen Pop-Kongress.

9. Wie kann man an der Kulturhauptstadt teilnehmen?

Indem man hingeht. Wir stellen jeden Mittwoch und Samstag ein Projekt vor; wer will, kann die Berichte sammeln. Im Internet stehen sie unter www.derwesten.de/ruhr2010. Das komplette Programm gibt es bei www.ruhr2010.de.

10. Glaubt ernstlich jemand, wegen Ruhr.2010 gäbe es einen Besucheransturm?

Das Weltkulturerbe Zeche Zollverein fasziniert viele Hobby-Fotografen. Wenn sich herumspricht, dass es noch mehr großartige Industriekultur gibt, etwa im Landschaftspark Duisburg-Nord, werden auch dahin mehr Gäste kommen. Ruhr.2010 bietet Städtereisen an, zum Beispiel als Koppelung von Theater-, Musical- und Museumsbesuch.

11. Warum gibt die Wirtschaft Geld für Ruhr.2010?

Die Unternehmen wissen, dass sich das auszahlt. Ihr Ansehen wächst, und potenzielle Mitarbeiter sind eher bereit, in eine kulturell attraktive Gegend umzuziehen. Studien zeigen, dass Mitarbeiter stolz sind, wenn ihre Firma etwas für die Kultur tut.

12. Welche Auswirkungen hat die Finanzkrise?

Schlimme. Sponsoren werden zurückhaltender, das spüren auch Kulturschaffende, die nicht direkt mit der Kulturhauptstadt vernetzt sind. Manches Unternehmen, das bisher eine örtliche Initiative mit 5000 Euro im Jahr unterstützt hat, beruft sich jetzt auf sein Engagement für Ruhr.2010. Das schafft Ärger.

13. Wird 2011 noch Geld für Kultur übrig sein, wenn 2010 so viel ausgegeben wird?

Es hat in der Kultur schon so viele Rückschläge gegeben, dass es blauäugig wäre, nicht damit zu rechnen. Im Moment ist es aber Spekulation. Wenn Ruhr.2010 ein Erfolg wird, sollte die Kultur dadurch größeres Ansehen bekommen – auch bei Ratsmitgliedern. Man kann sich nicht vorstellen, dass ein Stadttheater, das zum Gelingen von Ruhr.2010 beigetragen hat, anschließend kaputtgespart wird. Schwierig wird es, wenn 2010 der Region nicht zu einem neuen Image verhelfen sollte. Dann dürfte sich Resignation ausbreiten.