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Wer als freiberufliche Hebamme auch Entbindungen betreuen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Knapp 4000 Euro werden nun pro Jahr für die Haftpflichtversicherung fällig. Im Kreis Recklinghausen haben bisher sieben freiberufliche Hebammen die Geburtshilfe aufgegeben haben, weil sie sich das nicht mehr leisten können.
Etwa 4500 erste Schreie, genauso viele sorgenvolle erste Umarmungen, Freudentränen und Glückwünsche gab es im vergangenen Jahr. Denn so viele Babys kamen 2010 im Vest zur Welt, in Krankenhäusern, Geburtshäusern oder manchmal auch Zuhause. Damit bei der Geburt alles gut verläuft, werden die Mütter von Hebammen betreut. Etwa 180 Frauen übernehmen diesen verantwortungsvollen Job im Kreis Recklinghausen.
Ingelore Lindner ist die Vorsitzende des Hebammenkreisverbandes Recklinghausen. Die 61-Jährige arbeitet seit den 1960er Jahren als Hebamme und ist zunehmend besorgt. „Die flächendeckende Versorgung durch Geburtshelferinnen ist gefährdet“, warnt sie.
Viele Schwangere können bereits ein Lied davon singen: Wer sich bei der Geburt eine Beleghebamme wünscht, kümmert sich besser rechtzeitig darum. Am besten schon, wenn man sich noch gar nicht recht traut, den Traum eines Kindes auszuträumen: im dritten Schwangerschaftsmonat. Die wenigen, noch vorhandenen Beleghebammen sind extrem gefragt.
Ein wesentlicher Grund: Die Haftpflichtversicherungsbeiträge der Geburtshelferinnen sind zuletzt immens gestiegen. So sehr, dass einige Hebammen sich aus der hoch versicherungspflichtigen Geburtshilfe zurückgezogen haben. „Inzwischen zahlt eine Hebamme fast 4000 Euro pro Jahr für die Haftpflicht“, sagt Lindner. Zum Vergleich, in den 1990er Jahren waren es noch 150 D-Mark.
Mehr als 7,50 Euro netto die Stunde verdienen die Wenigsten
Nun könnte man meinen, dass sich Fehler bei der Geburt häufen und die Versicherungen sich deshalb derart absichern müssen. „Dem ist nicht so“, sagt Lindner. „Im Gegenteil, die Fehlerquote ist gesunken. Wird allerdings ein Kind durch Fehler während der Geburt geschädigt, sprechen die Gerichte inzwischen Schadensgelder zu, die bis zu 1,5 Millionen Euro betragen“, sagt Lindner.
Viele der Hebammen kommen so in echte Bedrängnis. Die Freiberuflichen tragen ohnehin die Last der Selbständigkeit, kümmern sich also selbst um Sozialversicherungsabgaben oder Krankenkassenbeiträge. Die Haftpflichtprämie verringert das ohnehin geringe Nettoeinkommen noch einmal. Mehr als 7,50 Euro netto die Stunde verdienen die Wenigsten. Bei mitunter 50 Wochenstunden Arbeitszeit. „Im Kreis Recklinghausen sind mir bisher sieben freiberufliche Hebammen bekannt, die die Geburtshilfe aufgegeben haben, weil sie sich das nicht mehr leisten können“, sagt Lindner.
Am Dienstag, 8. März, wird der 100. Internationale Frauentag begangen. Der Frauenverband Courage hat für diesen Tag auch seine Unterstützung für die Hebammen angekündigt. Auf dem Recklinghäuser Altstadtmarkt wollen die Frauen von 15 bis 17 Uhr ihre Stimme erheben und laden zur offenen Diskussion.
„Auch Familienhebammen gibt es immer weniger, weil den Städten dafür die Mittel fehlen“, sagt Lindner. Sie begleiten sozial schwache Familien bis zu zwei Jahre.
Äußerst kritisch beobachtet Lindner eine Entwicklung der letzten Jahre. „Sogenannte Doulas haben sich regelrecht eingeschlichen“, sagt sie. Die Frauen ohne vergleichbare Qualifikationen begleiten Mütter und Väter in der Schwangerschaft, während der Geburt und danach.
Trotz aller Widrigkeiten, Ingelore Lindner gibt sich optimistisch: „Wir lassen nicht locker. Wir sind eine starke Frauengruppe.“