Nach der Wahl steht fest: Die SPD braucht eine Grunderneuerung. Die Gewinner sind die kleinen Parteien.
Vest. Die eigenen, internen Rechnungen standen ab 21 Uhr auf „Erfolg”, aber amtlich wurde es erst am frühen Montagmorgen: Um 4.02 Uhr erhielt Philipp Mißfelder den Anruf von der Landeswahlleiterin: Er ist drin im 17. Bundestag. Knapp war sein Wiedereinzug gleichwohl, denn über die Landesliste ihrer Partei buchten lediglich acht Christdemokraten aus Nordhein-Westfalen das Ticket nach Berlin, Philipp Mißfelder (Platz 16) ist der siebte, also vorletzte von ihnen.
Am Montag war der 30-jährige Recklinghäuser dann auch gleich gefragt, denn in Präsidium und Bundesvorstand der CDU – beiden Gremien gehört er an – galt es, den Regierungswechsel von der großen Koalition hin zu Schwarz-Gelb auf die Schiene zu bringen. Ob für Mißfelder dabei eine neue Aufgabe drin ist, war am Montag noch nicht abzusehen. Konrad Harms, Leiter des Berliner Abgeordneten-Büros, geht bislang davon aus, dass „die bisherige Arbeit fortgesetzt wird”, Philipp Mißfelder also dem Wirtschafts- und im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages angehören wird.
Sein ausdrückliches Wahlziel, den Wahlkreis 122 diesmal direkt zu gewinnen, verpasste Mißfelder deutlich. Er konnte den Rückstand auf den erneuten Sieger Frank Schwabe (SPD) zwar von 24 auf 12,4 Prozentpunkte halbieren, doch das war nicht sein Verdienst. Im Gegenteil, der CDU-Mann verlor gegenüber 2005 noch einmal 0,4 Punkte (auf 30,6 %), vermochte also gar nicht von Schwabes Einbruch um 12,7 auf nur noch 43,0 % zu profitieren.
Es geht noch tiefer
Nur 71,4 % haben gewählt. 5765 für die Piraten
Vest. Mit bundesweit 72,5 % erreichte die Wahlbeteiligung am Sonntag ein neues Tief. Aber es geht noch schlechter. Zum Beispiel im Vest, denn hier gingen sogar nur 71,4 % zur Wahl, 7,2 % weniger als 2005. Das größte Interesse an der Abstimmung meldete Haltern (78,6 %) die wenigsten Wähler Marl (69,8 %).
Insgesamt 14 Parteien tummeln sich in der Rubrik „Sonstige”, in Summe 5,6 %. Hier blieben die meisten Gruppen im Bereich von Null-Komma, lediglich zwei schafften mehr als ein Prozent: die Piratenpartei wählten kreisweit 1,67 %, was immerhin 5765 Zweitstimmen bedeutet, die NPD 1,16 % (3997 Stimmen); die Piraten erzielten ihr bestes Resultat in Datteln (1,86 %), die Nationaldemokraten holten in Oer-Erkenschwick ihren Spitzenwert (1,39 %). Die wenigsten Stimmen (58 = 0,02 %) bekam die „Partei für Soziale Gleichheit”. ezn
Womit wir bei der SPD wären. Sie ist weiterhin die stärkste Kraft im Vest, erlebte aber desaströse Verluste. 14,4 Prozent weniger Zweitstimmen als bei der letzten Bundestagswahl, da mochten sich die direkt gewählten Frank Schwabe und Michael Groß zunächst kaum über ihre Mandate freuen. In einigen Städten kam's noch schlimmer: Minus 17,4 % in Oer-Erkenschwick sind weit und breit der schlimmste Wert, aber auch in den Nachbarstädten lief es nur wenig besser: Recklinghausen -15,5 %, Marl -15,2 %, Datteln -14,9 %, Waltrop - 14,7 %.
Selbst in Herten, wo die Genossen bei der Kommunalwahl vor vier Wochen sogar eine absolute Ratsmehrheit einfuhren, lagen ihre Verluste an diesem Sonntag mit 12,7 % noch über dem Bundeswert von 11,2 %. Für den Hertener Stadtverbandsvorsitzenden Carsten Löcker heißt die Konsequenz aus dem Wahlergebnis deshalb: „Kein Zweifel, die Bundespartei braucht eine Grunderneuerung. Das betrifft sowohl das Programm wie auch die Köpfe. Die Frage des Parteivorsitzenden ist aufgeworfen, das sieht spätestens seit Sonntag jeder. Bei uns im Ruhrgebiet kann die Partei ja mal nachfragen, wie man auch noch Wahlen gewinnen kann.”
Die Verluste der Sozialdemokraten teilten vor allem drei kleine Parteien unter sich auf. Die FDP segelte im Bundestrend zu kreisweit 11,0 % (4,5 % mehr als 2005); ihr bestes Resultat schaffte sie in Haltern (13,5 %), es folgten Waltrop (11,9 %), Datteln (10,9 %) und Recklinghausen (10,8 %). Die Linke hüpfte um 4,8 auf 10,9 %. Ihre besten Werte stammen aus Oer-Erkenschwick (12,6 %), Recklinghausen (11,8 %) und Herten (11,7 %). Die Grünen verbesserten sich um 1,9 auf 7,5 %; sie schnitten in Haltern (10,6 %), Recklinghausen und Waltrop (mit jeweils 8,5 %) besonders gut ab.