Recklinghausen. Schlank, dünn, mager, so war zuletzt die Entwicklung auf den Laufstegen der Welt. Magermodels aßen nichts und verdienten mit Skelett-Look ihre Gagen. Die Zeitschrift Brigitte will das ändern und normale Frauen mit normalen Kurven vor der Kamera posieren lassen. Und das kommt an.
„Ein tolles Signal”, freut sich Kathrin Böhnk. Die Mitarbeiterin der Recklinghäuser Barke – einer Hilfseinrichtung für Menschen mit psychosozialen Störungen – betreute eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Essgestörten. Meistens sind Mädchen und junge Frauen betroffen. Besonders bekannt ist das Krankheitsbild der Anorexie, also Magersucht. „Mit dem Wunsch, dünner zu werden, fängt oft alles an. Das ist der Einstieg. Die Betroffenen werden immer dünner. . .”, sagt Böhnk.
Eine einzige Ursache für Essstörungen wie Magersucht gebe es nicht, sagt Böhnk. „Aber ein Grund kann das Nachahmen eines Models oder eines dürren – aber beliebten – Mädchens in der Schulklasse sein”, erzählt die Diplom-Pädagogin und Tanztherapeutin. Meistens treffe es Mädchen in der Pubertät, die sich in ihrem Körper und mit sich selbst noch nicht wohl und sicher fühlten. Mit oft verheerenden Auswirkungen. „Ich habe Mütter erlebt, die um das Leben ihrer Kinder und jede Kartoffel gekämpft haben.” Oft könnten nur rigide Ernährungspläne, Klinikaufenthalte und Psychotherapie helfen. In ihrer Krankheit entwickelten die Betroffenen einen unglaublichen Willen und verlangten ihrem Körper unglaubliches ab. „Ich kenne Frauen, die haben es geschafft, das extreme Bild der Magersucht zu verlassen. Aber sie achten auf ihr Gewicht”, so Böhnk. Wer an „Magersucht” erkranke, finde darin Strategien zur Problembewältigung. Heilung sei deshalb stets relativ. Versuche, den Kreis zu durchbrechen, findet Böhnk schon deshalb lobenswert.
Weg vom unmöglichen Ideal
Recklinghausen. Eine Anlaufstelle für Menschen mit Essstörungen ist auch die Beratungsstelle des Vereins Frauennotruf. Jährlich lassen sich hier im Schnitt 50 Frauen helfen. „Es kommen Frauen, die an Bulimie, Magersucht oder Adipositas leiden”, sagt Diplom-Pädagogin Ulrike Upmeier. Möglich sind einzelne Gesprächstermine oder regelmäßige Besuche. „Ich biete beispielsweise Essstörungsgruppen mit zehn Treffen an.”
Dass eine Frauenzeitschrift sich von Magermodels abwendet, befürwortet Upmeier. „In anderen Ländern wird die Diskussion schon länger geführt.” Leider sei Dünnsein noch immer ein Schönheitsideal. „Aber es lebt davon, dass es nicht zu erfüllen ist”, warnt Ulrike Upmeier. Auch seien Risiken des Diätenwahns groß: Ein veränderter Stoffwechsel, Organ- und andere Gesundheitsschäden – ganz zu schweigen vom JoJo-Effekt.
- Kontakt Frauennotruf: Springstraße 6, am Hauptbahnhof. Tel. 02361 154 57 immer Mo-Di von 14-16 Uhr, Mi 10-14 Uhr, Do 15-18 Uhr.
Auch das Recklinghäuser Model Tanja Kötting sieht das Vorhaben der Brigitte positiv: „Ich finde die Kampagne gut und fänd's toll, wenn sie das durchhalten würde.” Dennoch macht sie eine Einschränkung. „Das Blatt ist zu klein, um wirklich neue Tendenzen für die Modebranche zu bringen”, sagt Kötting.
Doch auch einige Designer bekennen sich zu Kurven. Wolfgang Joop mag's weiblich. Galliano ließ schon 2005 Übergewichtige Haute Couture tragen. Sogar Karl Lagerfeld hat seine Diät etwas herunter gefahren. Mit der Sängerin Beth Ditto (rund 100 Kilo) hat er ein echtes Schwergewicht zur Stilikone erkoren. Ist dieser Weg der Richtige?
„Nicht im Extrem. Bei Adipösen ist das Übergewicht oft auch Symptom von psychischen Erkrankungen”, so Böhnk. In der Barke als Einrichtung für psychosoziale Selbsthilfe treffe Böhnk selbst oft krankhaft Übergewichtige. Die Körperfülle übernehme hier geradezu Schutzfunktionen der Seele.
Ob die Kampagne mehr ist als ein Trend für die Frühjahrssaison, wird sich zeigen. Schönheitsideale wandeln sich ständig. Auf Bildern von Rubens waren speckige Rundungen noch Sinnbild der Schönheit und ein Statussymbol. „Und heute haben wir so dürre Frauen wie Victoria Beckham oder Model Kate Moss. Da fliegt einem doch der Draht aus der Mütze!”, sagt Böhnk. Sie wünscht sich, dass auch Modezeitschriften mit jüngerer Zielgruppe auf normalgewichtige Models setzen.