Herten. Ausweglos. Das war am Ende die Situation von Torwart Robert Enke. Sein tragisches Schicksal rückte das Thema Depression plötzlich in den Fokus. Für die Mitarbeiter der Hertener Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie aber stehen Schwermut und tödliche Traurigkeit tagtäglich im Mittelpunkt.
Mit dem Psychiater Andreas Wolff (49) sprach WAZ-Redakteurin Elisabeth Höving über die Krankheit, über Ursachen und Heilungschancen.
Der Tod von Robert Enke rückte ganz plötzlich die Depression ins Zentrum des Interesses. Hat Sie diese Lebensgeschichte auch überrascht oder ist das eher Alltag für Sie?
Wolff: Das ist für uns schon eine alltägliche Geschichte mit all ihren Facetten, dem Vertuschen, dem fehlenden Lebensmut. Die Statistik sagt: 15 Prozent aller Depressiven nehmen sich das Leben.
Wodurch entsteht eine Depression?
Es gibt ganz unterschiedliche Ursachen. Da gibt es nach alter Einteilung die klassische Melancholie, also die endogene Depression. Andere Depressionen werden durch einen plötzlichen Verlust verursacht, durch kritische Lebenssituationen wie eine Vergewaltigung, durch die Angst vor Verlust, durch Sorgen um den Arbeitsplatz. Auch scheinbar harmlose Veränderungen im Leben können eine Depression auslösen.
Kann ein Selbstmord wie der von Enke überhaupt verhindert werden?
Der Gedanke an den Suizid ist ein häufiges Symptom der Krankheit, ist Teil der Krankengeschichte. Im Patientengespräch frage ich nach lebensmüden Gedanken. Manche antworten sofort mit Nein, weil sie fürchten, auf eine geschlossene Station zu kommen.
Und? Ist das so?
Nicht unbedingt. Wenn der Patient glaubhaft zusagt, dass er sich meldet, wenn er in Gefahr gerät, kann er auf einer offenen Station behandelt werden. Wichtig ist hierbei die stabile therapeutische Beziehung, die die notwendige Offenheit ermöglicht.
Wie kommen Betroffene in Ihr Haus?
Manche nach einem Suizidversuch, viele durch die Einweisung von ihrem Haus- oder Nervenarzt. Manche stellen sich auch einfach selbst vor. Es gibt allerdings oft eine Warteliste für unsere 24 Plätze auf der Depressionsstation.
Weil immer mehr Menschen depressiv werden?
Ja, es erkranken mehr, aber es wird auch offener mit dieser Krankheit umgegangen.
Wer ist vor allem betroffen?
Hier behandeln wir auf jeden Fall mehr Frauen, man ist davon ausgegangen, dass mehr Frauen als Männer betroffen sind. Das wird inzwischen in Frage gestellt, weil möglicherweise Depressionen bei Männern nicht so gut erkannt werden. Frauen unternehmen mehr Suizidversuche, aber es kommen mehr Männer durch Selbstmord um. Sie wählen die radikaleren Methoden.
Welche Altersgruppen sind besonders gefährdet?
Ein erster Altersgipfel liegt ungefähr bei Mitte 20, fünfzig Prozent erkranken vor dem 40. Lebensjahr, zehn Prozent erstmals nach dem 60. Lebensjahr. Insbesondere ältere Menschen unternehmen häufig sehr ernsthafte Suizidversuche.
Wie erkennt man eine mögliche Depression bei Familienangehörigen, bei Arbeitskollegen?
Es gibt die klassischen Symptome wie den Rückzug, das sich Verkriechen, den Abbruch von sozialen Kontakten, eine Antriebslosigkeit und Interessenverarmung. Auffällig kann sein, wenn jemand immer gerne in seinen Verein gegangen ist und plötzlich nicht mehr. Schlafstörungen und Appetitlosigkeit können Anzeichen sein, auch Konzentrationsstörungen. Aber auch leichtere Reizbarkeit und Unausgeglichenheit. Es gibt auch körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Engegefühl in der Brust, Kloßgefühl im Hals.
Und wie soll man sich verhalten?
Man sollte den Betreffenden auf jeden Fall ansprechen, insbesondere, wenn die Veränderungen über mehrere Wochen zu beobachten sind. Schlechte Tage kennt ja jeder. Wichtig ist eine Ich-Botschaft: Mein Eindruck ist, dass . . . Ins Gespräch zu kommen, das ist ein guter erster Schritt. Man kann auch den Hausarztbesuch empfehlen, der gegebenenfalls weitere Schritte einleiten, evtl. auch einen Nervenarzt hinzuziehen kann.
Wie können Sie Menschen aus der Depression helfen?
Mit einer Kombination aus medikamentöser Therapie, Psychotherapie, sozialtherapeutischen Maßnahmen, Informationen über die Erkrankung, aber auch Beschäftigungstherapie und sportliche Aktivitäten. Die Notwendigkeit einer Medikation hängt vor allem von der Schwere der Depression ab.
Können Sie auch geheilte Patienten entlassen?
Bei der Entlassung aus der Klinik sind die Betroffenen in der Regel noch nicht vollständig genesen, es ist immer eine ambulante Weiterbehandlung erforderlich. Aber es ist eine vollständige Erholung und Rückkehr der sozialen Aktivitäten und Fähigkeiten möglich. Die Wiedererkrankungsquote liegt allerdings bei 50 Prozent und steigt mit jeder weiteren Krankheitsphase. Deshalb ist es wichtig, eine wirksame medikamentöse Behandlung nicht nur in der sog. Akutphase einzusetzen, sondern auch bei einer erstmaligen Erkrankung noch über das Abklingen der Krankheitsphase hinaus. Diese über Monate empfohlene vorbeugende Weiterbehandlung wird von den Betroffenen oft nur dann akzeptiert, wenn die eingesetzten Medikamente möglichst nebenwirkungsarm sind. Hier sind in den letzten Jahren gute Fortschritte erzielt worden.