Velbert. Lkw-Fahren ist unbeliebt in Velbert – das liegt vor allem am Stress und den Unwägbarkeiten des Berufs. Experten sagen, was sich ändern müsste.

Es gab einmal einen Trucker-Traum: Der Lkw-Fahrer thront in seiner Kabine über der leeren Autobahn, er ist sein eigener Herr. Die Kollegen in der Heimat verrichten Fließbandarbeit oder räumen den Dreck anderer Leute weg. Der Lkw-Fahrer tuckert durch die Welt, ist mal hier, mal dort – in seiner Pause sitzt er am Meer. Es war ein Traum. Er ist lange ausgeträumt.

„Wir finden eigentlich kaum noch neue Berufsanfänger“, sagt Stefan Sauer, Geschäftsführer der Erich Weiß Logistik GmbH in Heiligenhaus an der Stadtgrenze zu Velbert. Er beschäftigt 19 Fahrer. Sie liefern Regale, Maschinenbauteile und Lebensmittelfolien in ganz Deutschland aus. Viele von ihnen sind kurz vor der Rente. Es scheiden jedes Jahr mehr aus, als neue nachkommen. Um an neue Mitarbeiter zu kommen, habe er eigentlich alle Kanäle ausgereizt: sämtliche Stellenbörsen im Internet, Werbung in der Zeitung, Flyer in Fahrschulen.

„Ich fürchte schon, dass wir in zwei oder drei Jahre leere Regale wie in England haben“, sagt Sauer. Doch warum träumen so wenige vom Truckerleben?

In Velbert gibt es immer weniger Menschen, die Lkw-Fahrer werden möchten – woran das liegt

Klaus Thielenhaus bildet seit vielen Jahren Lkw-Fahrer in Velbert aus. Auch er bemerkt, dass der Beruf an Attraktivität eingebüßt hat. In den 90er Jahren haben noch etwa 80 Menschen im Jahr bei ihm ein Führerschein gemacht. Heute sind es vielleicht noch 15. Ein Grund für den Niedergang der Trucker-Romantik ist Thielenhaus zufolge, dass die Anforderungen mittlerweile viel zu hoch sind an die Fahrer. „Die müssen heute Ware in den Frachtraum laden und auspacken, während der Fahrt organisieren, Staus auf dem Schirm haben, spontan neue Route planen – kein Wunder, dass da viele den Kaffee aufhaben.“

Geschäftsführer Ralf Petersen und Stefan Sauer (3. von links) kauften 2019 ein Lkw von Daimler, der mit einem Spurwechselassistenten und einem Fußgängernotbremssystem ausgestattet ist.
Geschäftsführer Ralf Petersen und Stefan Sauer (3. von links) kauften 2019 ein Lkw von Daimler, der mit einem Spurwechselassistenten und einem Fußgängernotbremssystem ausgestattet ist. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Das bestätigt auch Spediteur Stefan Sauer. „Die Kunden fordern von den Fahrern die Lieferung just in time.“ Die haben dann ein Zeitfenster von zwei Stunden, in denen die Fracht ankommen soll. Viele Firmen haben keine Lagerhallen mehr. Sie sparen Kosten, indem sie ihre Waren nach der Produktion direkt auf den Lkw verladen. „Wenn dann bei VW die Fließbänder stillstehen, weil ein Lkw sich verspätet – das bedeutet unvorstellbaren Stress für die Fahrer.“

Work-Life-Balance stimmt in bei Lkw-Fahrern meistens nicht

Ein weiter Grund, warum heute kaum noch einer Lkw-Fahrer werden will: „Junge Menschen haben mehr als früher das Bedürfnis, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen“, sagt Sauer. „Die sind gefrustet, wenn sie paar Wochenenden hintereinander an einer Tankstelle campieren müssen, hunderte Kilometer entfernt von zu Hause.“ Hinzu kommt, dass die Wehrpflicht ausgesetzt ist. Dadurch gibt es weniger Soldaten, die in ihrer Dienstzeit einen Lkw-Führerschein machen. Viele von ihnen arbeiteten früher nach ihrer Militärlaufbahn für Speditionen.

Ein Führerschein bei Klaus Thielenhaus kostet etwa 7500 Euro. „Wer soll das aus eigener Tasche bezahlen?“, fragt er. „Für die Kosten kann das Arbeitsamt drei Leute auf dem Arbeitsmarkt bringen – eine EDV-Ausbildung ist für 2500 Euro zu haben.“ Deswegen arbeitet das Arbeitsamt nicht mehr mit Thielenhaus zusammen.

Die wenigen Menschen, die in Velbert noch einen Lkw-Führerschein erwerben, sind in der Regel Auszubildende bei Speditionen, sagt Thielenhaus. Die Firma übernimmt die Ausbildungskosten. Das Problem – kaum einer will noch für eine Speditionen arbeiten.

So kann man wieder Menschen für den Beruf begeistern

Wie kann man dem Traum vom Truckerleben wieder neues Leben einhauchen? Sauer und Thielenhaus meinen, dass es das Gehalt nicht zu niedrig sei. Bis zu 3300 brutto verdient ein Fernfahrer bei Sauer, plus Spesen. „Das sind ja keine Astrophysiker“, sagt er. „Gemessen an ihrer Schulbildung und was die können, ist das gutes Geld.“

Klaus Thielenhaus bildet seit vielen Jahren LKW-Fahrer aus. (Archivbild)
Klaus Thielenhaus bildet seit vielen Jahren LKW-Fahrer aus. (Archivbild) © WAZ FotoPool | KREIMEIER, Detlev

Auch Imageprobleme habe die Brache eigentlich nicht, die Umwelt-Bewegung der vergangenen Jahre habe nicht dazu geführt, dass ihre Fahrer jetzt gesellschaftlich geächtet würden. „Aber klar, wenn einer sagt, ich werde jetzt Brummifahrer, ist das nicht nobelpreisverdächtig“, sagt Sauer.

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Er halte seine Lkw-Flotte immer auf den neusten technischen Stand: zum Beispiel extra breite Kabinen, in denen Fahrer genug Platz zum Schlafen haben. Oder eine Standklimaanlage, damit der Fahrerraum auch während der Pause gekühlt wird. Die Fahrer erhalten kostenlose Gesundheits-Checks, um Rückenschmerzen frühzeitig behandeln zu lassen.

„Nicht der Fahrer muss am Zielort ankommen, sondern die Ware“

Thielenhaus schlägt vor, dass mehr Fahrern garantiert werden sollte, dass sie nach einem Arbeitstag auch wieder zu Hause kommen. Er stellt sich vor, dass sogenannte Hub-Platze ausgebaut werden, wo ein Fahrer seine Ware hinbringen und ein anderer sie übernimmt. „Nicht der Fahrer muss am Zielort ankommen, sondern die Ware“, sagt er.

Auch Sauer sieht das Potenzial der Hub-Plätze. Aber das löse das Problem nicht. „Das ist nur eine theoretische Lösung. Im Alltag fehlen Knotenpunkte, um das Modell zu verwirklichen.“ Er hofft, dass man das Problem lösen kann, in dem man vermehrt Geflüchtete anwirbt. „Sprache ist bei dem Beruf zweitrangig. Ich schätze aus dem Pool gibt es viele, die sich über einen Job freuen würden.“ (Lesen Sie hier: So viele Geflüchtete haben im Kreis Mettmann einen Job)

Thielenhaus hofft darauf, dass die Politik ein Gesetz verabschiedet, dass Fernfahrern sicherstellt, dass sie an einem Wochenende im Monat in ihre Heimat zurückkehren. „Jetzt sind sie ja teilweise drei Monate am Stück unterwegs. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

>> Die Folgen des Fachkräftemangels in Großbritannien

  • In den vergangenen Tagen machten Bilder aus Großbritannien die Runde: In Supermärkten fehlte wegen des derzeitigen Mangels an Lkw-Fahrern Lebensmittel, Restaurants und die Fast-Food-Kette McDonald’s konnte keine Produkte liefern.
  • Verbände in Deutschland warnen vor einem Lkw-Fahrermangel auch in hierzulande. „Wir laufen auch in Deutschland in einen schleichenden Versorgungskollaps“, sagte Dirk Engelhardt, Vorsitzender des Bundesverbands Güterverkehr Logistik und Entsorgung.
  • In Deutschland verdienen Lkw-Fahrerinnen und -fahrer weniger Geld als Personen mit einer ähnlichen Ausbildung. 2020 bekamen sie in Vollzeit im Schnitt 14,21 Euro pro Stunde, das teilte das Statistische Bundesamt mit. In der Wirtschaft insgesamt lag der durchschnittliche Stundenverdienst für Fachkräfte dagegen bei 19,97 Euro brutto, für Angelernte bei 16,02 Euro.