Langenberg. Der Velberter Verein Wendepunkt bietet auch Theaterworkshops für Jugendliche an. Dabei wird viel improvisiert. Das gibt neues Selbstbewusstsein.
Einen neuen Job für den WAZ-Fotografen finden? Kein Problem für den Theaterkurs, den der Wendepunkt für Jugendliche mit und ohne psychische Erkrankung ins Leben gerufen hat. Unter Leitung des Schauspielers Christoph Schlemmer sind elf Jugendliche und junge Erwachsene seit vier Tagen dabei, erste Schritte in die Welt des Theaters zu unternehmen.
Die Szene ist natürlich nur ein kurzes Improvisationsstück, aber der Fotograf macht brav mit. „Bei der Aufführung später werden wir auch Leute aus dem Publikum einbeziehen“, erläutert Teilnehmerin Naomi das Konzept. Sie spielt in der kurzen Nummer die Chefin des Arbeitsamtes, gemeinsam mit ihrer Sekretärin (Lea) versucht sie nun, dem Fotografen einen neuen Job schmackhaft zu machen.
Der Clou: Der Interviewte weiß gar nicht, was er denn statt zu fotografieren machen soll. Er muss raten. Nach einigen kurzen Dialogen unternimmt er einen ersten Versuch: „Metzger?“ - großes Gelächter. Scheint wohl falsch zu sein. „Leichenwäscher?“ Noch mehr Gelächter. Also geht das Interview weiter. Schließlich kommt er drauf: „Hebamme?“ Großer Applaus, er ist erlöst.
Verein Wendepunkt bietet Workshop zum dritten Mal an
Bereits zum dritten Mal bietet der Verein Wendepunkt diesen Workshop an. War der Kreis der Teilnehmenden zu Beginn auf die Wohngruppen des Hordthofes beschränkt, dürfen inzwischen auch Externe mitmachen. Lisa, die vom Wendepunkt betreut wird, findet das gut: „Anfangs hatte ich ein wenig Angst, weil so viele andere dabei sind“, sagt die Jugendliche, die später gerne einmal Schauspielerin werden möchte („Aber im Film!“). „Aber wir sind so toll zusammengewachsen, das ist genauso wie in einer Gruppe auf dem Hordthof.“
Dass die jungen Leute hier Spaß haben, ist ihnen auch anzumerken. Sie tauschen Ideen aus, bringen sich ein, haben Vorschläge. Sehr zur Freude von Christoph Schlemmer. „Ich gebe nur den Rahmen vor“, sagt der gebürtige Bonner, der an der Folkwang Uni in Essen Schauspiel studiert hat - und dem einen oder anderen durch Werbekampagnen oder Krimiserien bekannt sein dürfte.
Seminarleiter gibt Tipps, den Rest erarbeiten die Jugendlichen
Natürlich bringt sich der Profi auch ein, lenkt die Gespräche hier und da, gibt Tipps. Zum Beispiel bei der „Fahrkartenkontrolle“: Lena und Esther übernehmen die Parts der Reisenden. Lena ist die feine Dame mit schickem Handtäschchen, Esther die angetrunkene und gar nicht so feine Sitznachbarin. Kurdistan spielt die Schaffnerin.
„Die Ideen kommen uns beim Mittagessen, oder wenn wir in den Pausen rumalbern“, erzählt Charlotte dazu. „Christoph schreibt dann immer alles mit.“ Und manchmal, ergänzt Lea, „werden da ganze Storys draus“. So wie etwa die Geschichte der Charlestons, einer fiktiven Waffel-Produzentenfamilie aus Langenberg. „Das wird eine Serie“, sagt die Schülerin der Bleibergquelle. „Daran wollen wir auch tatsächlich nach dem Workshop weiterarbeiten.“
Projekt soll fortgeführt werden
Denn der Fünf-Tage-Kurs soll nicht das Ende des Projekts darstellen: „Nein, wir wollen eine gewisse Kontinuität hineinbringen, uns wöchentlich oder vielleicht alle zwei Wochen treffen“, sagt Kursleiter Christoph Schlemmer. „Naja“, sagt Nancy, die wie Lea sonst an der Bleibergquelle zur Schule geht, „wenn das mit der Zeit passt.“
Doch Lust haben alle elf, so viel Spaß macht der Workshop. „Das ist etwas ganz anderes, wenn man mal in andere Rollen schlüpft“, sagt Lea. „Wir fühlen uns selbstbewusster“, ergänzt Nancy. Und hat eine spannende Beobachtung gemacht: „Ich kenne Lea jetzt seit 14 Jahren und habe sie noch nie so offen erlebt.“
Workshop endet mit einer Aufführung
Eine Beobachtung, die auch Christoph Schlemmer gemacht hat. „Ich freue mich besonders darüber, dass gerade die Jugendlichen mit ihren Erkrankungen so richtig aus sich rauskommen.“ Das ganze Drama ihrer persönlichen Schicksale sei dann für einige Zeit einfach vergessen. „Deswegen heißt der Workshop ja auch ‚Lass Dein Drama raus‘.“
Lisa und Naomi, die beide schon an einem vorherigen Kurs teilgenommen haben, kennen das Gefühl, vor Zuschauern auf der Bühne zu stehen, bereits: „Wenn wir merken, dass das Publikum Spaß hat und mitgeht, dann ist das ein atemberaubendes Gefühl und gibt uns noch einmal zusätzliche Energie.“
Startschuss für eine Karriere?
Lisa und Amelie möchten später auch beruflich ins Schauspielfach wechseln. Beide haben große Vorbilder: Während Lisa ein Fan von Ex-Wrestler Dwayne „The Rock“ Johnson ist, kann Amelie nicht genug von Scarlett Johansson und Elizabeth Olsen bekommen. Der Schauspiel-Workshop kommt den beiden da gerade recht.
Der Verein Wendepunkt verfolgt mit dem Theaterprojekt natürlich noch ein anderes Ziel: „Jugendliche mit einer psychischen Beeinträchtigung haben oft wenig Kontakt zu Gleichaltrigen außerhalb der Wohngruppe. So ist das Projekt allein schon aus diesem inklusiven Aspekt heraus sehr wertvoll“, erläutert Einrichtungsleiter Thomas Clever. „Andererseits werden bei Jugendlichen ohne psychischer Erkrankungen Barrieren im Kopf abgebaut, in dem sie in Berührung mit psychischen Erkrankungen kommen und dafür sensibilisiert werden.“
Finanziert wird das Projekt von der Aktion Mensch. Wer Interesse hat mitzumachen, kann sich an Thomas Clever vom Wendepunkt wenden: 02052 913480 oder t.clever@wendepunkt.nrw.