Langenberg. Wilhelmina Krämer feiert an diesem Samstag einen besonderen Geburtstag. Dass sie das in Langenberg tut, daran, sagt sie, „ist die Liebe schuld“.

Familie ist wichtig für Wilhelmina Krämer. Das wird auf den ersten Blick klar. Überall in ihrem Zimmer im Carpe Diem hängen Fotos - von den Eltern und den Kindern, den Enkeln und den Urenkeln. Sogar ihre Oma hat sie im Porträt an der Wand hängen. Warum ausgerechnet das so besonders ist? Weil Wilhelmina Krämer an diesem Wochenende 100 Jahre alt wird, das Foto ihrer Großmutter also noch aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Wenn die gebürtige Niederländerin ins Erzählen kommt, dann geht es auch fast nie um sie selbst. Sondern eben um die Familie. Um ihre Enkel, alle Mediziner. Einer hat sogar ein Buch über Parkinson geschrieben, gemeinsam mit Frank Elstner. Ein Spiegel-Bestseller, den sie natürlich im Schrank stehen hat.

Geboren bei Rotterdam, aufgewachsen in Amsterdam

Dass sie ihren runden Geburtstag in Langenberg feiert, „daran ist die Liebe schuld“, sagt die Jubilarin lachend. Geboren in Schiedam bei Rotterdam zieht die Familie nach Amsterdam, als sie zwölf ist. Wenig später beginnt der Krieg, in dessen Irren und Wirren sie ihren späteren Mann Rudi kennenlernt. Einen Deutschen. „Mein Vater war nicht so begeistert“, sagt sie rückblickend. Aber die Liebe ist stärker: 1942 heiraten die beiden, kurz darauf bekommt das Paar einen Sohn und eine Tochter.

Mit zwölf Jahren zog Wilhelmina Krämer mit der Familie nach Amsterdam.
Mit zwölf Jahren zog Wilhelmina Krämer mit der Familie nach Amsterdam. © dpa | Andreas Heimann

Der Krieg geht 1945 zu Ende, um die Kinder muss sich die junge Mutter allerdings zunächst alleine kümmern. Ihr Mann ist in Kriegsgefangenschaft. Am Tag der Geldumstellung 1948 schließlich kehrt er zurück - aber er darf als Deutscher nicht in die Niederlande einreisen.

Umzug nach Deutschland - weil der Ehemann nicht einreisen darf

„An Weihnachten habe ich ihn dann in Deutschland besucht“, erinnert sich Wilhelmina Krämer, „und bin kurz darauf mitsamt Kindern zu ihm gezogen.“ Während Rudi arbeiten geht, lernen die drei anderen Deutsch. „Für die Kinder gar kein Problem“, erzählt sie, für sie eine größere Aufgabe.

Was die Jubilarin besonders freut: Auch ihre Enkel sprechen die Sprache ihres Heimatlandes. „Einer hat in den Niederlanden eine Vorlesung gehalten. Was meinen Sie, wie die alle geguckt haben, als er das auf Niederländisch gemacht hat“, sagt sie und lacht herzlich.

Der Tod des Ehemanns ist ein einschneidendes Ereignis

Von Kettwig aus geht es irgendwann über Velbert-Mitte nach Langenberg. Die Tochter - inzwischen leider verstorben - engagiert sich im Bücherstadtverein. Und kümmert sich gemeinsam mit ihrem Bruder um die Mutter, als Vater Rudi plötzlich stirbt. „Er hatte auf der Treppe bei Karstadt einen Herzinfarkt. Einfach so.“

Sie habe an dem Tag Besuch von ihrer Mutter und ihrer Tante gehabt. Als die Polizei an der Tür klingelte, „wusste ich Bescheid, ohne dass die Beamten etwas gesagt hätten.“ Der Verlust sei ihr noch lange nach gelaufen, „aber meine Kinder waren immer für mich da, haben für mich gesorgt.“

Familie kommt zum Feiern nach Langenberg

Heute nun wird gefeiert: Die Familie versammelt sich in Langenberg, um diesen außergewöhnlichen Geburtstag mit Wilhelmina zu begehen. „Einer meiner Enkel ist schon ein paar Tage früher hier hinauf gekommen. Gestern dann ist er extra nach Holland zum Einkaufen gefahren und bringt mir all die schönen, leckeren Sachen mit.“ Ein Strahlen breitet sich auf dem Gesicht der betagten Dame aus.

In Deutschland lebte die Familie zunächst in Essen-Kettwig. Über Velbert-Mitte ging es dann nach Langenberg.
In Deutschland lebte die Familie zunächst in Essen-Kettwig. Über Velbert-Mitte ging es dann nach Langenberg. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Liegt es denn in der Familie, dass sie nun ihren 100. feiern kann? „Nee“, sagt sie, schüttelt den Kopf. „Die Älteste ist gerade mal über 80 geworden.“ Sie wisse auch nicht, wie ihr so ein langes Leben gelungen sei. „Ich habe nie geraucht“, sagt sie, „und außer bei Feiern oder zum Essen eigentlich auch nie getrunken.“ Eigentlich. „Naja“, fügt sie schmunzelnd an, „wenn ich nicht einschlafen kann, dann trinke ich ein Eierlikörchen.“ Aber nur einen. „Einen kleinen.“

Frieden und Gesundheit - das wünscht sich die Jubilarin

Und dann wird sie noch einmal ernst. Zum Geburtstag wünsche sie sich, „dass der Krieg aufhört“. Sie verstehe nicht, warum Menschen sich so dermaßen hassen. „Für nichts und wieder nichts. Da sterben so viele Menschen, die nichts getan haben. Das ist so schrecklich“, ereifert sie sich.

Sie atmet einmal tief durch. „Und für mich selbst wünsche ich mir“, sie zeigt auf ihren Kopf, „dass ich vor allem hier gesund bleibe.“ Im Carpe Diem habe sie einige Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, denen es gar nicht gut gehe. „Das ist traurig, was aus den Menschen werden kann im Alter.“

Aber genug Trübsal geblasen, jetzt freue sie sich erst einmal auf ihre Feier - und bietet dann dem Redakteur und dem Fotografen zum Abschied noch ein Eierlikörchen an.