Langenberg/Bergisches Land. Nicht nur Insekten, auch einheimische Pflanzen werden im Bergischen Land immer weniger. Ein neues Projekt soll dem entgegenwirken.
Rund vier von zehn Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen sind entweder vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden. Das zeigt die fünfte Fassung der Roten Liste des Landesamtes für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv) aus dem Jahr 2021. Die Liste umfasst beinahe 2000 Arten, das sind 50 mehr als noch 2010.
Auch im Bergischen Land zeige sich selbstverständlich diese Entwicklung, sagt Dr. Jan Boomers. Er ist Geschäftsführer der Biologischen Station Mittlere Wupper in Solingen. Gemeinsam mit mehreren anderen Biologischen Stationen aus dem Bergischen Land soll diese Entwicklung nun gestoppt werden.
Bergisches Land ist „typisches Grünland“
„Das Bergische Land ist eigentlich typisches Grünland mit vergleichsweise wenig Ackerbau“, sagt Jan Boomers. „Früher war die Natur hier wesentlich artenreicher. Aber durch die intensive Bewirtschaftung ist die Landschaft verarmt.“
Den Pflanzen ergehe es dabei genauso, wie den Insekten, sagt der Fachmann. „Und natürlich treten diese Phänomene in Wechselwirkung: Sind die Pflanzen weg, verschwinden auch die Insekten. Und umgekehrt.“
Baumarktmischung ist nicht geeignet
„Bergisches Saatgut für Bergische Vielfalt“ lautet der Name des Projekts, das eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufen worden ist. „Jetzt kann man ja schnell sagen: Warum so ein Projekt?“ sagt der Leiter der Solinger Station, der auch im Vorstand des Dachverbandes der Biologischen Stationen sitzt.
„Man kann doch auch im Baumarkt einfach Saatgutmischungen kaufen und ausstreuen. Warum also diese Anstrengung?“ Ganz einfach, gibt er auch gleich die Erläuterung dazu: „Arten haben sich an ihre jeweiligen Standorte über Generationen genetisch angepasst.“
Äußere Einflüsse bestimmen genetisches Material
Beispielsweise unterscheide sich Schafgarbe, die in Bayern wachse, genetisch stark von der Schafgarbe im Bergischen Land. „Äußere Einflüsse wie Niederschlagsmenge oder Frosttage wirken sich auf das Genmaterial aus.“ Arten, die sich anpassen, „sind widerstandsfähiger.“ Nehme man nun eine Mischung aus dem Baumarkt, „dann gehen die genetischen Eigenheiten und somit die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit verloren.“
Das Projekt setzt dabei erst einmal klein an, nimmt sich zunächst ausschließlich der Glatthaferwiese an, sagt Pia Kambergs. Auch sie gehört zum Team der Biologischen Station in Solingen und ist, so ihr Vorgesetzter Jan Boomers lachend, „die Praktikerin im Projekt“.
Zwischenziel sind 20 Arten
Als Zwischenziel soll die Bergische Saatgut-Mischung 20 Arten enthalten, „das ist aber sehr ambitioniert“, sagt die Fachfrau. Denn: In ganz NRW seien nur noch rund zwölf Prozent der Fläche artenreiches Dauergrünland, also Land, das blumen- und kräuterreich ist.
Von diesen Flächen werden Samen gesammelt und dann – etwa in den Gewächshäusern am Botanischen Garten in Solingen – vermehrt. „Das ist natürlich nicht wirtschaftlich“, sagt Pia Kambergs, „deshalb wird dieser Schritt auch vom LVR gefördert.“
Die Wirtschaftlichkeit soll dann im zweiten Schritt erfolgen: Landwirte bauen die Mischung auf ihrem Grund und Boden an, ernten und verkaufen die Ernte an Saatgutvertriebe. Durch die Einnahmen soll sich dann der Anbau wieder rechnen.
Im Frühjahr 2024 soll es die Mischung zu kaufen geben
Im Frühjahr 2024 soll es die ersten Mischungen zu kaufen geben, die sollen dann aus 15 bis 20 Arten bestehen. „Wir haben noch keine seltenen Pflanzen dabei“, sagt die Biologin, „sondern Pflanzen, die relativ einfach im Umgang sind.“
Also „ganz typische Wiesenpflanzen“, fährt sie fort – etwa den Sumpfhornklee, die Wiesenmargerite oder die Kuckuckslichtnelke. „Wir starten auch auf vorhandenen Flächen, auf denen die Wiese noch da ist“, sagt Pia Kambergs. Ein Neustart auf einer komplett kahlen Fläche wäre zu aufwendig für den Beginn.
Mindestens einen halben Hektar brauche es, bis zu drei Hektar wären schön. „Aber wir müssen die Landwirte erst überzeugen, dass dieses Projekt sich als drittes oder viertes Standbein für sie lohnen könnte.“ Fünf seien im Bergischen Land inzwischen schon dabei, „zwei bis drei mehr wären toll.“
Beratung und Antrag stellen
Und wie kommen die Landwirte an ihr Saatgut? „Wenn ich eine große Wiese zur Verfügung habe, stelle ich eine Beratungsanfrage an die zuständige Biologische Station“, sagt Pia Kambergs. Nach der Beratung erfolgt ein Förderantrag an die LVR-Abteilung „Kulturlandschaftspflege“. Wird der bewilligt, erhalten die Landwirte das Saatgut bei ausgewählten Biologischen Stationen.
Um die Fläche dann zum Blühen zu bringen, muss das Saatgut anschließend nur noch gemäß der bereitgestellten Anleitung auf der Fläche ausgebracht und regelmäßig gepflegt werden.
„Wir sind ganz hoffnungsfroh, wenn das Saatgut da ist und wir so einen Grundstamm für die Landwirte haben“, sagt Jan Boomers. „Und wir werden natürlich auch die Landwirte weiter begleiten und beraten.“
>>>Unterstützung durch Ehrenamtler<<<
Ohne die Unterstützung von ehrenamtlichen Helferinnen, Helfern und Bundesfreiwilligendienstleistenden „hätten wir das hier gar nicht stemmen können“, sagt Pia Kambergs von der Biologischen Station Mittlere Wupper in Solingen.
Wiesen mit „Bergischem Saatgut“ zu bepflanzen sei zwar kein Allheilmittel, sagt die Biologin, „aber es ist eine gute Möglichkeit, den Artenreichtum zu fördern.“