Neviges. Im „Info Point Ukraine“ in Velbert-Neviges bekommen Geflüchtete mehr als fachlichen Rat und Hilfe. Man möchte „Herzen öffnen“, so der Organisator
Serhij Zhadan, der vielleicht größte ukrainische Schriftsteller der Gegenwart, schrieb einst: „Am schwersten hatten es die Seiltänzer: Wie sollten sie das Gleichgewicht halten mit diesem Herz, das sie zur Seite zog? Zwei Herzen wären gut, man könnte in der Luft hängen.“ Menschen aber haben für gewöhnlich nur ein Herz; und das zieht eben nur zu einer Seite. Das dürften wenige so eindeutig spüren wie Kriegsflüchtlinge: Das Herz zieht sie Richtung Heimat; mit jedem Tag, an dem zuhause Bomben fallen, werden Schmerz und Sehnsucht größer. Und trotzdem: „Wir fühlen uns hier in Velbert wohl und sicher“, sagt Yana Militschenko, während sie mit den Tränen kämpft. Militschenko ist vor wenigen Wochen nach Velbert gekommen. Und ist nun eine der ersten Gäste im neuen „Info-Point Ukraine“: In dem Gebäude des WBS Trainingscenters, dem ehemaligen Kaufhaus Gassmann an der Bernsaustraße 1 , hat die Integrationshilfe Langenberg (IHLA) ein Begegnungszentrum für Kriegsvertriebene eröffnet.
Die Schrecken der Flucht
Ehrenamtliche gesucht
Wer sich im Begegnungszentrum „Info Point Ukraine“ ehrenamtlich engagieren möchte: Einfach die IHLA anrufen unter 0176 64377078 oder eine Mail schreiben. Die Adresse lautet: sinha@ihla-verein.de.Der Verein bittet auch weiterhin um Spenden für die Menschen aus der Ukraine, freut sich aber auch über freiwillige Mitarbeit im Info Point.
Um die 100 Menschen haben sich in diesem Moment zusammengefunden und hören der jungen Frau zu: „Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nicht zu weinen“, sagt sie. „Aber was soll’s?“ Lächelnd wischt sie sich die Tränen von den Wangen und spricht weiter, wie es einige Sekunden zuvor bereits ihre Freundin Karina Mironova getan hatte – zwei Frauen, beispielhaft für die Schrecken einer Flucht und den Neubeginn eines Lebens, das gar keinen Neubeginn benötigt hätte.
Hilfe bei Behördengängen
Vor drei Wochen erst hatte Gero Sinha, Vorsitzender der Integrationshilfe Langenberg (IHLA), das frühere Gassmann Gebäude betreten, in dem jetzt unter anderem das Weiterbildungsinstitut WBS Training untergebracht ist. Nun findet sich dort, in den frisch renovierten Räumlichkeiten, das neue Begegnungszentrum. Geöffnet wochentags von 9 bis 16 Uhr, von 9 bis 13 Uhr arbeitet sogar eine ausgebildete Rechtsanwaltsgehilfin im „Info Point“: Katharina Pozdneacov hilft in Zukunft den Geflüchteten bei allen administrativen Angelegenheiten. „Bei Formularen, Telefonaten und Terminen…“, sagt sie.„Das Administrative“, erklärt Sinha, „ist das eine“. Das andere: „Unsere Herzen öffnen, den Menschen die Hand reichen und ihnen sagen: ‚Ihr seid willkommen.’“ Dabei unterstützen soll das Café, das im vorderen Teil des Begegnungszentrums eingerichtet ist: Hier können sich Geflüchtete und Einheimische austauschen und kennenlernen.
Es werden noch Freiwillige gesucht
Die IHLA, die auch Anfang März Geflüchtete an der Grenze abgeholt hatte, sucht noch Freiwillige, die ein paar Stunden wöchentlich im Café des Info-Points mitarbeiten wollen. „Unser System funktioniert nur mit vielen Helfern“, sagt Sinha. Ukrainisch- oder Russischkenntnisse seien nicht notwendig, Kaffeetrinken könne man schließlich auch, wenn man nicht dieselbe Sprache spräche. Und im Notfall schafften Online-Übersetzer oder die IHLA-Mitarbeiter am Telefon Abhilfe.
Als Überraschung kommt ein Star
Zurück zur Eröffnungsfeier: Nachdem Yana Militschenko und Karina Mironova gesprochen hatten, geht es ans Büffet. Um das Begegnungszentrum mit seinen hohen Decken und den lichtdurchfluteten Räumen gebührend einzuweihen, haben einige IHLA-Schützlinge Spezialitäten aus ihrer Heimat zubereitet: Es gibt syrisches Essen, die ukrainischen Geflüchteten sind schließlich nicht die erste Generation Schutzsuchender, der die IHLA hilft. Plötzlich knackt das Mikrofon. Juan Gregori, Vorstandsmitglied der Integrationshilfe, sagt leise: „Wir haben noch eine Überraschung: Natalia Kholodenko ist heute hier, vor allem die Menschen aus der Ukraine werden sie kennen.“ Und tatsächlich: In ihrem Heimatland ist die 39-Jährige ein Star, Psychologin und Musikerin gleichermaßen – im Moment aber einfach eine von Millionen Geflüchteten. Als ihre Stimme zur Musik der Harfe durch den Raum fliegt, fließen die Tränen wie Ströme von den Wangen der Menschen. Die ukrainischen Herzen wollen nach Hause.