Neviges. Möbel wegwerfen, Matsch wegschieben, Luft holen. In Neviges wird seit der Überflutung aufgeräumt. Bei allen Sorgen gibt’s auch gute Nachrichten.
Der Bautrockner summt vor sich hin, es riecht nach feuchtem Holz und irgendwie auch nach Kalk. Die Wände mit den Regalen, auf denen sonst in Reih und Glied Wäschekörbe stehen: ratzekahl leer. Der PVC-Boden aus dem Geschäft ist schon raus, ebenso der Laminat-Belag aus dem Appartement, in dem das Wasser meterhoch stand und das zum Glück nur zeitweise von einem Paar als eine Art Ferienwohnung genutzt wird. Jörg Grotegut wischt sich kurz über die Stirn. „Ja, wir haben das ganze Wochenende durchgemacht. Mit Freunden, mit der Familie sowieso und mit tollen Nachbarn.“ Die Groteguts wohnen in der Weinbergstraße, jenem Teil von Neviges, der mit am schlimmsten von den Folgen des Starkregens betroffen war. Hier überflutete der Hardenberger Bach, der an diesem Morgen wieder friedlich in seinem Bett dahin plätschert, am Mittwochabend die Straßen, schoss die braune Brühe meterhoch in Keller, Wohnungen, eben auch in Elke Groteguts Heißmangel-Betrieb.
Heißmangel wohl bis Dezember geschlossen
„Kärcher Denise“, wie Papa seine Tochter liebevoll neckend nennt, hat nach dem anstrengenden Wochenende ausnahmsweise mal ein kleines bisschen länger geschlafen. Die Kellerwände sind sauber, müssen jetzt „nur noch“ trocknen. Ihre Ferien hatte sich die Schülerin, die jetzt in die 12. Klasse kommt, auch anders vorgestellt. „Ich wollte eigentlich ein paar Tage nach Österreich.“ Stattdessen schrubbt sie mit Schwester Doreen klaglos Böden, schleppt Sperrmüll zum Container. Ohne Wenn und Aber krempeln hier alle die Ärmel hoch, da kommen ganz selbstverständlich Freunde der Familie, packen mit an. Wann die Kunden hier wieder Wäsche abgeben können, steht noch in den Sternen. „Keine Ahnung, ich sitze gerade über den Versicherungsunterlagen, alles ganz schön kompliziert“, sagt Elke Grotegut, und Ehemann Jörg prophezeit: „Das wird nichts vor Dezember.“
Fachwerk muss langsam trocknen
Denn die Groteguts, deren Wohnung zum Glück in der oberen Etage liegt, haben mit ihrem 1780 erbauten Schieferhaus noch ein spezielles Problem: „Die Holzbalken und das Lehmfachwerk dürfen nicht mit Hochdruck getrocknet werden, also nicht zu schnell. Das platzt sonst alles“, erläutert Elke Grotegut. Über das Wochenende hat sich zudem bewahrheitet, was sie schon befürchtet hatte. Das Herzstück ihres Betriebs, die große Mangel, ist nach den Wassermassen nicht zu retten. „Sie war zwar schon alt, aber auch von ganz besonders guter Qualität“, bedauert Ehemann Jörg. „So etwas gibt’s heute gar nicht mehr.“ Aus Tönisheide – hier wurde ein Heißmangel-Betrieb vor einiger Zeit aufgegeben – wurde ihnen eine Mangel zum Verkauf angeboten, ein kleiner Lichtblick in diesen Zeiten: Die Groteguts rechnen mit ca 40.000 bis 60.000 Euro Schaden.
Wasser floss bis ins Wohnzimmer
Vier große Privat- Container haben sie mit Sperrmüll gefüllt, und noch immer gibt’s jede Menge Arbeit. Ein sichtlich geschaffter Nachbar steckt den Kopf durch durch die Tür: „Kann ich vielleicht noch was auf euren Container werfen?“ Jörg Grotegut denkt keine Sekunde nach: „Klar, mach. Kannst alle nehmen, such dir einen aus.“ Die unglaublich große Solidarität empfindet auch Elisabeth Tilling als tröstend. Die Nevigeserin, die gegenüber im Erdgeschoss der ehemaligen Knopf-Fabrik wohnt, hat es richtig erwischt, bei ihr floss der Bach bis in die Wohnung. „Zurzeit ist gerade eine Spezial-Firma mit Trockner-Geräten da.“ Die Maschinen müssen Tag und Nacht laufen. Falls es nachts zu laut wird, hätten viele Freunde schon Asyl angeboten. Besonders gefreut hat sich Elisabeth Tilling über die Geste eines Mädchens aus der Nachbarschaft: „Sie kam mit Eis vorbei, einfach so, das tat so gut.“
Beim Metzger ist die Theke wieder gut gefüllt
Ein paar Meter weiter ist zumindest auf den ersten Blick Normalität eingekehrt: Die Naturfleischerei Janutta hat wieder geöffnet. „Einige Maschinen sind hinüber, aber die Theke ist gefüllt“, sagt Metzgermeister Miroslav Tomic und atmet tief durch. Auch er hat mit seinem Team das ganze Wochenende gerackert. „Mein Kollege Markus Zwickel, Barbara Knapp vom Party Service, alle haben ihre Unterstützung angeboten. Und so viele Nachbarn hier haben geholfen. In solchen Situationen zeigen sich die wahren Gesichter.“ Und so bedauerlich der Schaden in Höhe von rund 100.000 Euro natürlich sei: „Der Zusammenhalt hier ist toll, da kommen einem die Tränen.“
Produktions-Neustart bei Erbslöh
Ganz vorsichtig wird derweil beim Automobilzulieferer „WKW automotive Erbslöh“ der Betrieb wieder hochgefahren. Hier hatte das Hochwasser aus dem angrenzenden Hardenberger Bach die Produktion komplett lahm gelegt. „Im Presswerk und der Gießerei wird noch immer das Wasser abgepumpt und der Schlamm abgezogen“, sagt Anja Hoßfeld von der Unternehmenskommunikation, die von einem „tief blauen Auge spricht“, mit dem das Werk davon gekommen sei. „Einzelteile an den Maschinen müssen wohl ausgetauscht werden, aber wir haben keinen kompletten Schaden.“ An der Eloxal-Anlage – hier werden die Endprodukte haltbar gemacht und imprägniert – sei noch alles nass und müsse nacheinander ausgetauscht werden. Anja Hoßfeld ist zuversichtlich, dass auch hier Mitte der Woche die Produktion wieder laufen wird. „Die Stimmung ist weiterhin gut, obwohl alle das ganze Wochenende durch gearbeitet haben.“
Unbürokratische Hilfe
Auch bei den Technischen Betrieben Velbert (TBV) sind alle seit Mittwochabend im Dauereinsatz. So seien rund 300 Tonnen Sperrmüll von den Straßen geholt worden, sagt TBV-Vorstand Sven Lindemann. „Wir haben versucht, pragmatische Lösungen anzubieten. Wer uns eine Adresse nannte, bekam entweder einen Container vorbei gebracht oder konnte den nassen Sperrmüll direkt an die Straße stellen.“ Unermüdlich seien auch die Kanalspülwagen unterwegs gewesen und hätten Straßen von Schlamm befreit. „Je fester das wird, desto schwieriger bekommt man das ja weg.“ Ein dickes Lob gibt’s sowohl für die Bürgerinnen und Bürger – „Toll, wie alle den Kopf hoch halten. Und man hat so sehr die Dankbarkeit der Leute gespürt.“ – als auch für sein Team: „So engagiert, wie die dabei sind, bin ich stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein.“