Velbert. Betriebsräte sind auch in vielen Velberter Firmen keine Selbstverständlichkeit. Ein Gespräch von Gewerkschaftlern mit Staatssekretärin Griese.
Nur weil sie einen Betriebsrat gründen wollten, sind mehrere Beschäftigten einer niederbergischen Firma fristlos gekündigt worden: Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern in den Unternehmen ist auch im Jahr 2021 noch keine Selbstverständlichkeit, viele Arbeitgeber sträuben sich immer noch dagegen. Dies wurde bei einem Treffen von Betriebsräten mit der Bundestagsabgeordneten und Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD) deutlich. Weil es zum Tag der Arbeit am 1. Mai wegen Corona in Velbert keine Kundgebung der Gewerkschaften geben wird, haben sich Vertreter der IG Metall zum Meinungsaustausch mit der Politikerin getroffen.
Nur neun Prozent mit Betriebsrat
Nur in neun Prozent der Betriebe in Deutschland gebe es einen Betriebsrat, erklärte Hakan Civelek, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Velbert. Vor allem größere Betriebe hätten Arbeitnehmervertretungen, denn immerhin 41 Prozent der Beschäftigten arbeiteten in Firmen mit Betriebsräten. Civelek sowie die Betriebsräte Silke Wild (2. Bevollmächtigte) und Marc Blaut (IG Metall Ortsvorstand) berichteten der Staatssekretärin über Erfahrungen, die ihnen von IGM-Mitgliedern geschildert wurden.
Fristlose Kündigung
So meldeten sich immer wieder Arbeitnehmer, denen gekündigt worden sei, sobald sie zur Wahl eines Betriebsrates aufgerufen hatten. „Sie erhalten dann oft eine fristlose Kündigung und stehen erstmal ohne Einkommen da“, berichtet Civelek. Natürlich sei ein solches Vorgehen der Arbeitgeber nicht rechtens, doch eine Klage vor dem Arbeitsgericht dauere eine Zeit und nach der Entscheidung sei dann die häufig Wahl gelaufen. „Zudem ist die Kündigung ein verheerendes Signal für alle übrigen Mitarbeiter, kaum einer wird sich dann noch trauen, in Zukunft einen Betriebsrat zu fordern“ sagt Silke Wild, die Betriebsratsvorsitzende bei KFV Karl Fliether ist.
Kompliziertes Wahlverfahren
Sie rügte zudem das komplizierte Verfahren bei den Betriebsratswahlen: „Da müssen wir die Initiatoren tagelang schulen, damit sie alles richtig machen.“ Hier wolle man bald Abhilfe schaffen, versprach Staatssekretärin Griese. Derzeit sei das Betriebsräte-Modernisierungsgesetz zwischen den Koalitionspartnern in Berlin in der Endverhandlung. Darin sollten vereinfachte Wahlverfahren festgelegt werden, aber auch ein ausgeweiteter Schutz für die Initiatoren von Wahlen. Zudem wolle man der Digitalisierung Rechnung tragen und Betriebsratssitzungen online auch in Nicht-Pandemie-Zeiten ermöglichen.
Der Tag der Arbeit
Der 1. Mai oder Tag der Arbeit bzw. auch Tag der Arbeiterbewegung ist in vielen Ländern der Welt ein Feiertag. In Deutschland ist er seit 1933 ein gesetzlicher Feiertag.
Das Datum geht auf Streiks für den Achtstundentag zurück. Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1. Mai auf – in Anlehnung an die Massendemonstration am 1. Mai 1856 in Australien, welche ebenfalls den Achtstundentag gefordert hatte. Es kam zu Ausschreitungen, Demonstranten wurden getötet, einige Organisatoren hingerichtet.
Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale 1889 wurde zum Gedenken an die Opfer der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. Am 1. Mai 1890 wurde zum ersten Mal dieser „Protest- und Gedenktag“ mit Massenstreiks und Massendemonstrationen in der ganzen Welt begangen.
FFP2-Masken erkämpft
Und gerade in Pandemie-Zeiten sind Betriebsräte wichtig. So berichtete Markus Thewes, dass der Arbeitgeber in seinem Mettmanner Unternehmen erst auf Druck des Betriebsrates FFP2-Masken für die Belegschaft angeschafft habe. Was nicht nur an den hohen Kosten für die Masken liege, sondern auch an den Arbeitsschutzbestimmungen. Denn an normalen Arbeitsplätzen müssten Beschäftigte nach 70 Minuten eine 30-minütige Maskenpause einlegen, bei körperlich schwerer Arbeit seien die Fristen noch kürzer. Die Betriebsräte loben, dass in den Unternehmen jetzt zwei Coronatests pro Woche angeboten werden müssen, wünschen sich aber noch mehr.
Produktion stand still
Ein Beispiel dafür, wohin es führt, wenn Firmen den Arbeitsschutz in Coronazeiten vernachlässigen, brachte Hakan Civelek: „In einer hiesigen Firma stand die gesamte Produktion still, weil die meisten Corona hatten oder in Quarantäne waren.“ In 70 Prozent der Firmen ohne Betriebsräte gebe es Probleme mit dem Arbeitsschutz.
Volle Auftragsbücher
Ihre Firmen seien gut über die Pandemie-Zeit gekommen, berichteten die drei Betriebsräte. Die Auftragsbücher seien voll. Bei der Eisengießerei Fondium in Mettmann habe man jetzt sogar 16 Leiharbeiter fest angestellt und plane Sonderschichten, berichtet Thewes. Bei Jeners Druckgusstechnik in Wülfrath läuft es ebenso wie beim Unternehmen KFV Karl Fliether in Velbert, das Beschläge herstellt.
In Privatinsolvenz
Durch Kurzarbeit konnten viele Firmen im Niederbergischen Entlassungen wegen Corona verhindern. Doch vielfach reiche das Geld nicht. Griese wies darauf hin, dass die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld für langfristigere Bezieher aufgestockt habe. Auch das reiche nicht, die Kurzarbeit habe viele in den Ruin getrieben, berichtete Hakan Civelek. Er kennt einen Velberter Betrieb mit 300 Mitarbeitern, im dem 30 Arbeitnehmer in die Privatinsolvenz gehen mussten.