Velbert. Erste Erfahrungen im digitalen Lernen konnten auch die meisten Schüler in Velbert bereits sammeln. Am Montag geht es richtig los.

Viele WAZ-Redakteure arbeiten derzeit im Homeoffice, auch ich gehöre dazu. Aber: Ich würde viel lieber zurück ins Büro. Nichts lenkt mich dort ab, ich bin lange Phasen hochkonzentriert und halte mich für produktiver. Dennoch: Ich bin erwachsen und verfüge über eine große Portion Selbstdisziplin. Ich weiß, dass ich mein Pensum schaffen will und muss. Manchmal aber ist das nicht einfach, denn ich habe vier Kinder zwischen 12 und 19 Jahren, von denen drei zuhause sind. Die Älteste studiert in Aachen. 

Noch haben sie offiziell Weihnachtsferien, für mich heißt das: Ich kann derzeit recht ungestört arbeiten, zwischendurch essen wir zwar gemeinsam, aber ansonsten machen sie ihr eigenes Ding, leben in den Tag hinein, sind glücklich und zufrieden (wenn sie sich nicht gerade die Köppe einhauen). 

Es graut mir allerdings vor den kommenden Wochen. Gar nicht mal unbedingt wegen der permanenten technischen Probleme im Digitalunterricht ("Maaaaama, der Lehrer hört mich nicht", "Maaaama, das Referat lässt sich nicht verschicken" etc.), sondern vor allem, weil zumindest meine drei (Vor-) Pubertiere noch nicht verstanden haben, dass digitaler Unterricht eine ernste Angelegenheit und damit dem Präsenzunterricht irgendwie gleichzusetzen ist.

Ernsthaftigkeit des digitalen Lernens nicht erkannt

Das fordert ihnen nämlich einiges ab: Konzentration mindestens über 45 Minuten, kein 20-minütiges Zocken auf dem Klo, während der Biolehrer das Herbarium erklärt, kein "Der Postbote kommt, ich mach dem mal schnell auf" während Konjunktionen jeglicher Art, keine Nutellabrot-Schmiereien zeitgleich mit Kurvendiskussionen. Gabriele Commandeur, Schulleiterin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums, kann diese Erfahrungen und Eindrücke nur bestätigen. "Tatsächlich haben wir während des letzten Lockdowns festgestellt, dass viele Schüler die Ernsthaftigkeit noch nicht ganz erkannt haben und auch noch nicht so ganz, dass ihre Leistungen von zuhause aus genauso in die Bewertungen einfließen können wie sonst auch." 

Rücksicht auf das Kind

Ganz sicher wird es Kinder geben, denen das alles ganz leicht fällt, die sehr früh schulische Eigenverantwortung gelernt haben. Oder: Sie haben den Vorteil, dass ein Elternteil sich auch während des Homeoffice gut um sie kümmern kann. "Ich arbeite als Sekretärin und mein Kind sitzt am Tisch direkt neben mir. Das klappt super und wenn ich telefonieren muss, gehe ich einfach kurz raus, um sie nicht zu stören", erzählt die Mutter einer 10-jährigen Tochter.

Notbetreuung ohne Unterstützung

Barbara Salbert-Wecker dagegen kann als Angestellte des Amtsgerichts kein Home Office machen. Sie ist alleinerziehende Mutter einer Fünftklässlerin "Beim Lockdown im Frühjahr war Isabell noch in der Grundschule und musste Arbeitsblätter auf Papier bearbeiten. Das hat sie zuhause alleine gemacht und zwar richtig toll, richtig selbstständig. Jetzt aber geht es ja um digitales Lernen und da werde notgedrungen auf die Notbetreuung zurückgreifen, die unsere Schule für die 5. und 6. Klassen anbietet."

Allerdings, so sehen es die Maßnahmen der Landesregierung vor, wird es dort nur eine Aufsicht geben, nicht aber schulische Unterstützung oder Hausaufgabenbetreuung. "Mich macht das total fertig, so oder so gibt es für die Kinder kaum bis gar keine sozialen Kontakte, die Bildung bleibt auf der Strecke, ich hab richtig Bauchschmerzen", beschreibt Barbara Salbert-Wecker ihre Gefühle, "aber jammern möchte ich auch nicht, es gibt wirklich Fälle, die es schlimmer trifft."

Viele haben kein W-Lan

Beispielsweise diejenigen, die zuhause erst gar nicht die technischen Möglichkeiten haben, um am digitalen Unterricht teilzunehmen. "Vor allem in Birth gibt es sehr viele Haushalte, die über kein W-Lan verfügen", weiß auch Schulleiterin Gabriele Commandeur. "Das ist wirklich ein ernstzunehmendes Problem und wir beraten derzeit auch, wie wir dem entgegenwirken können.

Erleichterung bei Lehrpersonal

Für die Schulen sei die Entscheidung, nicht mehr im Wechselmodell beschulen zu müssen- also Präsenz- und Digitalunterricht parallel anzubieten - eine wahre Entlastung. "Unser Lehrpersonal ist erleichtert, endlich können sich die Lehrer auf eins konzentrieren und zum Beispiel in Ruhe von zu Hause aus arbeiten." Wenn sie denn nicht selbst Kinder haben, die Unterstützung benötigen - so wie meine etwa meine drei, die nicht zu den hochbegabten Genies gehören, denen jegliches naturwissenschaftliches oder fremdsprachliches Wissen in den Schoß fällt. "Ich glaube, es ist für viele von uns Eltern die totale psychische Überforderung, wenn wir auch noch, neben Vater oder Mutter, Lehrer sein müssen, wir sind da doch gar nicht entsprechend geschult.", sagt Barbara  Salbert-Wecker. 

Hochemotionales Lernen

Zudem kommt - neben all den Lernanforderungen - noch etwas anderes, Gravierendes hinzu: Wenn Eltern mit ihren eigenen Kindern lernen, geht es meistens hochemotional zu. Von Provokationen, Beleidigungen, Türen knallen, Tränenausbrüchen über Wutanfälle und Drohungen ist alles möglich, eher gesagt, sogar wahrscheinlich. Was aber könnte die Lösung sein? "Ich hätte mich gefreut, wenn unsere Schule so hätte weitermachen können wie vor den Ferien. Für jede Jahrgangsstufe eigene Räume und Wege, nur wenig Kontakte mit einzelnen festen Personen", erinnert sich Salbert-Wecker, "diese Kontakte sind  gerade für Kinder wichtig, die nicht in einem sicheren Umfeld groß werden, denen es zu Hause nicht gut geht. Auf diese Kinder muss jemand von außen ein Auge haben."

+++Hier finden Sie den Newsletter für Velbert+++