Die Apostelkirche ist ein Esszimmer, die Vesperkirche ist zu Gast. Die meisten Menschen suchen weniger das Essen als neue Bekanntschaften.
Velbert. Mittags, gegen elf: Ein großes, meterhohes Kreuz wacht in der Apostelkirche über die Anwesenden. Ein leichter Windzug; er trägt den Geruch von warmem Essen mit sich. An den Tischen haben sich mittlerweile gut hundert Leute versammelt. Sie warten nicht etwa auf eine Andacht. An diesem Tag wird es keine geben. Statt warmer Worte wird warmes Essen aufgetischt: die Vesperkirche ist in der Stadt.
Viele freiwillige Helfer
„Wir wollen mit diesem Projekt verschiedene Menschen zusammenbringen“, sagt Jürgen Buchholz. Der Pfarrer ist Superintendent und gemeinsam mit Elisabeth Selter-Chow für die Leitung verantwortlich. „Die Kirche öffnet sich“, sagt er dann, denkt kurz nach und fährt fort: „Es sollen Bedürftige kommen und Menschen, die vielleicht gerade einfach Mittagspause machen. Kirchengeübte und -skeptiker. Wir wollen hier den Abgrenzungstendenzen innerhalb der heutigen Gesellschaft entgegenwirken.“
Jeden Tag - das Projekt dauert ungefähr zwei Wochen - können Buchholz und sein „Lenkungsteam“, wie er es nennt, auf fast 35 verschiedene Helfer zählen. „Das sind in der Summe über einen Zeitraum von zwei Wochen fast fünfhundert Menschen.“ An diesem Dienstag etwa hilft die Schulklasse einer Förderschule beim Bedienen der Gäste: flink wuseln die Kinder durch den Raum, in dem sonst gepredigt wird. Die viele Bewegung, die Hast inmitten der ruhigen, sich unterhaltende Menge, gibt der Szenerie Lebhaftigkeit.
Kontakt zu anderen Menschen finden
„Die Idee kommt eigentlich aus Baden-Württemberg“, erzählt Buchholz. Dort sei das Ganze aber eher wie eine Armenspeisung verlaufen. Diesem Konzept sei man in Velbert nicht unbedingt gefolgt: hier ist jeder willkommen. Der Einladung nachgekommen ist auch Gerd, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte.https://www.waz.de/staedte/velbert/article227940649.ece
Gemeinsam mit seiner Frau sitzt der Rentner nun auf einem weichen Sofa, trinkt einen Kaffee und erzählt: von der Arbeit, die er jahrzehntelang ausübte, von der Gesellschaft, die sich zusehens verändere, und eben von der Kirche, die sich doch nun endlich mal auf ihre neue Rolle einstellen müsse. „Das hier könnte doch ein Anstoß sein,“ sagt er, „um die Jugend wieder mehr am kirchlichen Leben teilnehmen zu lassen“. Er selbst suche hier den Kontakt zu anderen, vielleicht auch, um zu „erfahren, was nicht in der Zeitung steht“. Er grinst.
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Neue Gesichter in der Kirche
Gegenüber von Gerd sitzt Kirsten. Sie ist mit ihrer Tochter gekommen, beide verspeisen gerade ein Stück Kuchen. „Ich mag die Atmosphäre“, sagt sie. „Mal neue Gesichter in der Kirche zu sehen.“ Stammgast sei sie bei den Gottesdiensten, nun aber trifft sie hier auf neue Menschen, die sie nicht vom Sonntag kennt. Das, was sowohl Kirsten als auch Gerd beschreiben, scheint eine Essenz der Vesperkirche zu sein: neue Menschen treffen, gemeinsam essen, Austausch.
Viele weitere Angebote
Neben dem Essen gibt es auch immer wieder verschiedene Gäste, die über ihre Spezialgebiete referieren: so war bereits die Polizei da, um über Verkehrsunfallprävention zu sprechen.
Am heutigen Donnerstag gibt es beispielsweise eine Klangschalenmassage, andere Vorträge werden sich zum Beispiel mit sozialtherapeutischem Wohnenbefassen. Heute Abend gibt es zudem ein Sportangebot: Ab 18 Uhr können Zumba, Boxen und Gymnastik ausprobiert werden.
300 Gäste am Tag
Es ist mittlerweile halb eins, der Raum ist brechend voll. 300 Besucher hatte man im Vorfeld pro Tag durchschnittlich erwartet und es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Zahl an diesem Tag geknackt wird. Der Trubel scheint auf dem Höhepunkt zu sein, da entschließt sich Gerd, endlich zu essen. „Hähnchen oder vegetarisch, das weiß ich noch nicht genau“, sagt er und steht auf. Das große, meterhohes Kreuz wacht noch immer über die Anwesenden. Ein neuer Mittag in der Vesperkirche hat begonnen. Bis zum 9. Februar hat die Vesperkirche jeden Tag von 11.30 bis 15 Uhr geöffnet-.