Sprockhövel. Die etablierten Reisebüros in Sprockhövel erleiden durch Reisebeschränkungen dramatische Umsatzeinbußen. Kleineren Spezialisten droht Schiffbruch

Die Deutschen zählen weltweit zu den reisefreudigsten Menschen und es gibt Erhebungen, wonach am Tourismus in Deutschland insgesamt mehr Arbeitsplätze hängen als an der Automobilindustrie. Doch auch hier hat Corona den Puls so gut wie auf Null gesenkt, und das hat auch die Sprockhövelerin May Brit Lima in voller Konsequenz erleben müssen.

Spezialität: Angeln in Mittelnorwegen

Sie hat bis kürzlich in Niedersprockhövel eine Vermittlungsagentur für Norwegenreisen betrieben – und das bis zum Frühjahr sehr erfolgreich. "Mein Vater ist Norweger, meine Schwester lebt mit ihrer Familie dort, die Verbindungen zu diesem skandinavischen Land sind auch aufgrund meiner Landes- und Sprachkenntnisse sehr gut", erzählt die 43-Jährige. 2012 hat sie nach einer Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau und einem anschließenden Betriebswirtschaftsstudium eine Reiseagentur übernommen und als Ein-Frau-Unternehmen weitergeführt. Ihre Spezialität: Angel-Urlaube in Mittelnorwegen organisieren. "Dafür gibt es zahlreiche Liebhaber, die in der Saison von Mai bis Mitte September ihre Ausrüstung packen und nach Norden reisen." Lima steht in Verbindung mit Eigentümern von Ferienwohnungen und Pensionen und bringt sie mit den deutschen Petri-Jüngern zusammen. "Über die Jahre hat sich so eine Stammkundschaft entwickelt, die bei mir ihren Urlaub bezahlten. Ich leitete die Buchung an den jeweiligen Adressaten in Norwegen weiter und behielt eine Provision", berichtet sie.

Corona brachte die Vollbremsung

Alle Seiten waren zufrieden, der Job, den sie quasi vom Wohnzimmer in Sprockhövel aus managte, war ausbaufähig. Doch Corona brachte die Vollbremsung: Norwegen hat seine Grenzen bis Mitte August geschlossen, fast alle 70 bis 80 Buchungen musste May Brit Lima zurückbuchen; bis zur nächsten Saison 2021 fehlen jegliche Einkünfte, so dass die Mutter von zwei Kindern Mitte Mai Insolvenz anmelden musste. "Die staatliche Soforthilfe von 9000 Euro kam für mich leider nicht Betracht." Innerhalb von acht Wochen war ihre berufliche Existenz kaputt, sie hat Hartz IV beantragt. "Meine Hoffnung ist jetzt noch, dass der Insolvenzverwalter irgendeinen Weg für mich findet. Sonst brauche ich dringend einen neuen Job."

Zurzeit fehlt Anreiz zu buchen

Eine vergleichbare Durststrecke durchleiden auch die Reisebüros, sie haben aber von der finanziellen Substanz her einen längeren Atem als Einzelkämpfer wie May Brit Lima. "Wir beobachten, dass es kaum Lust gibt bei den Kunden, jetzt neu zu buchen mit Blick auf die nächsten Monate und die kommende Saison", sagt Michael Heringhaus. Der Inhaber des Reisebüros – vormals Winkler - an der Mittelstraße 2 in Haßlinghausen hat dafür Verständnis, "der Anreiz fehlt zurzeit einfach." Insofern sei das Reisejahr 2020 als verloren zu verbuchen. Der Blick von Heringhaus und seinen Kollegen von den anderen Reiseanbietern richtet sich dennoch voll auf das nächste Jahr. "Die grundsätzliche Motivation zu verreisen wird ja nicht vergehen", ist der Fachmann überzeugt.

Inlandsurlaub als Option

So lange hierzulande globale Reisewarnungen ausgesprochen werden und viele beliebte Urlaubsländer noch gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen ihre Grenzen für Touristen öffnen, bleiben auch Angebote für Inlandsurlaube eine Option. "Hier aber vornehmlich in Deutschland, weniger etwa in Österreich", präzisiert Michael Heringhaus, denn auch das Nachbarland sei schließlich Ausland, wenn man erkranke und das dortige Gesundheitssystem in Anspruch nehmen müsse. Auch bringe ein gebuchter Urlaub in einem Ferienhaus in Bayern deutlich weniger Ertrag für sein Büro als etwa ein dickes Paket Hotelurlaub auf Mallorca.

Hoffen auf die Bundesregierung

So tief wie die Reiseorganisatorin May Brit Lima muss Heringhaus nicht in den Abgrund schauen, "auch wenn die Liquidität mittlerweile sehr eingeschränkt ist."

Michael Heringhaus und mit ihm seine Branche hofft, dass sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Tourismusbranche mit Unterstützung engagiert.

Tourismus, dazu zählt er auch Gastronomie und Hotellerie, sei ein systemrelevanter Bereich in Deutschland.