Sprockhövel. Gabriele Reckhard hat alle Tatorte der Mordserie fotografiert. Die Präsentation „4074 Tage“ wird heute im IG-Metall-Bildungszentrum eröffnet.

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine Verbrechen gingen der Sprockhövelerin Gabriele Reckhard seit dem Selbstmord der Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht mehr aus dem Kopf. Es war im November 2011, als der Öffentlichkeit klar wurde, dass drei Menschen dreizehn Jahre lang im Untergrund lebten und rassistisch motivierte Morde planten und durchführten.

Reckhard ließ das Thema nicht mehr los und hat es deshalb in ihrer Diplomarbeit zur Fotodesignerin künstlerisch verarbeitet. Das Ergebnis ist eine Ausstellung mit dem Titel „4074 Tage – Tatorte der NSU Morde“, die am heutigen Montag um 18.30 Uhr im IG-Metall-Bildungszentrum an der Otto-Brenner-Straße eröffnet wird.

Zehn dreiteilige Tafeln

Der Titel bezieht sich auf die Anzahl der Tage, die die Familie Simsek nach dem gewaltsamen Tod ihres Angehörigen im September 2000 bis zur Aufdeckung des NSU im Jahr 2011 erleiden musste. „Das klingt zunächst formal, aber dahinter verbirgt sich eine Zeit, in der die Familie des Opfers verdächtigt wurde und ihnen die Möglichkeit öffentlich zu trauern, verwehrt wurde“, erklärt Reckhard. Zehn dreiteilige Tafeln zeigen Bilder der zehn Tatorte. Von München bis Rostock ist die Fotografin dafür durch die Republik gereist.

„Ich musste eine einheitliche Bildsprache entwickeln und mich fragen, was ich mit den Fotos vermitteln möchte“, erklärt die Fotodesignerin den Prozess. „Die Opferperspektive konnte ich nicht einnehmen. Ich wollte die Sicht der Unbeteiligten, also die der breiten Öffentlichkeit darstellen.“ Dafür wählte Reckhard eine streng strukturierte Bildsprache mit geraden Linien. Die Bilder sind sehr hell und stark gesättigt. „Man muss nah an das Bild herantreten, um alle Details erkennen zu könne.“ Gedenktafeln oder Stelen, die mancherorts errichtet worden sind, werden dem Betrachter nicht gleich auffallen. Zwar sei es nicht das Ziel der Arbeit gewesen, das Gedenken darzustellen, aber die Draufsicht auf die Tatorte zeigt auch diese Elemente.

Von der Pieke auf gelernt

Für Reckhard sind die Bilder nicht allein das Ergebnis der Diplomabschlussarbeit, sondern politisch motiviert. „Meine Dozentin sagte immer, dass wir uns ein Thema suchen sollen, für das unser Herz brennt, sonst stehen wir die zwei Jahre Diplomarbeit neben unserem Beruf nicht durch“, erinnert sich Reckhard. Die Sprockhövelerin entschied sich 2012, neben ihrem Beruf als Diplom- Bibliothekarin im IGM-Bildungswerk ihr Hobby, die Fotografie, „von der Pieke auf zu erlernen“ und eine Ausbildung zur Fotodesignerin zu absolvieren.

Kurz nach Beginn der Ausbildung bezog sie ein Atelier in Haßlinghausen bei Glaskünstler Udo Unterieser, wo sie in Ruhe an den Wochenenden arbeiten kann. Auch in Zukunft will sie dort ihre fotokünstlerischen Arbeiten ausstellen und verkaufen.

Empörung reicht nicht

Auch ihr Arbeitgeber und Kollegen zeigten Interesse an der Diplomarbeit. Bald entstand die Idee, die Ausstellung auch im hiesigen Bildungszentrum zu zeigen. „Die Opfer wurden alle an ihren Arbeitsplätzen hingerichtet, das ist natürlich für mich als Gewerkschafterin ein wichtiger Aspekt“, findet Reckhard. Außerdem soll die Ausstellung zur Diskussion anregen: „Nur weil der Prozess beendet ist, heißt das noch lange nicht, dass alles Vergangenheit ist. Viele Fragen sind unbeantwortet geblieben, etwa die Verstrickungen der Verfassungsschutzbehörden. Eine Nebenklägerin des Prozesses erhält Morddrohungen mit ,NSU 2.0’ unterzeichnet. Wir müssen Rassismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft entschlossen bekämpfen.“

Fokus auf Opfer und Angehörige

Bewusst entschied sich die 63-Jährige dafür, den Fokus auf die Opfer und die Angehörigen zu legen und die Täter außen vor zu lassen. Zur Vernissage hat sie als Gast den Anwalt, Nebenkläger und Autor des Buches „Empörung reicht nicht“, Mehmet Daimagüler, eingeladen. Gemeinsam mit ihm und Bildungsreferent Hüseyin Ucar will sie über die Konsequenzen aus dem Umgang mit dem NSU-Komplex sprechen.