Oberhausen. Krakauer Straßentheater KTO fasziniert die Zuschauer mit ausdrucksstarker und mitreißender Schau. Atemberaubende, dynamische Inszenierung geht unter die Haut. Alle Darsteller sind hervorragende Bewegungskünstler. Kostenfreie Weltklasse-Aufführung in der Freiluftarena.
Besser geht Kultursommer nicht. Es ist fast unglaublich, aber es funktioniert: Mit dem Spektakel „Die Blinden“, einer grandiosen aber auch knallharten Performance, in der es um Chaos, Willkür, Gewalt und Überlebenskampf geht, gelingt es dem polnischen Straßentheater KTO, alle Zuschauer zu faszinieren - egal ob sie Kinder oder Erwachsene sind, egal, ob sie jemals eine Aufführung sahen oder kulturinteressierte Leute sind. Am Ende haben es alle gespürt: Was hier in der durch Flatterband markierten Arena auf dem Altmarkt geschehen ist, war großartig, hatte Weltniveau. Als emotionale Show, die unter die Haut geht, kaum zu überbieten.
Die 14 Akteure überzeugen mit fantastischer Körperbeherrschung und Ausdruckskraft, getragen von einer überwältigenden Geräuschkulisse aus Musik, Klang- und Lichteffekten in einer höchst dynamischen, atemberaubenden Inszenierung ohne Worte (Regie: Jerzy Zoń).
Clou der Inszenierung sind rollende Klinikbetten
Walzer tanzend genießen sie ihr gewohntes Leben, als plötzlich die Epidemie ausbricht: Nach und nach verlieren sie alle ihr Augenlicht, Panik bricht aus, es folgen Wut, Verzweiflung, Streit und Chaos. In einer Klinik werden sie isoliert. Jeder erhält die Anstaltskleidung im Päckchen, nicht überreicht, sondern zugeworfen. Nur die Frau in Rot kann noch sehen, lässt sich mit einweisen, kümmert sich um die Erblindeten. Nur kurz gelingt es ihr, die sich gegen ihr Schicksal Aufbäumenden ein wenig zu beruhigen. Doch das währt nicht lange, niemand resigniert, der Machtkampf steigert sich.
Der Clou der Inszenierung sind rollende Klinikbetten, Metallgestelle, die ständig in Bewegung sind und genutzt werden, um unterschiedlichste Szenarien zu kreieren: Zu einem Schutzwall aufgetürmt, dienen sie als Zufluchtsort vor Panikmachern oder sie werden zusammengefügt und bilden zwei Kanus, die von den Akteuren mit Stecken vorangetrieben werden. Es geschieht so viel und es geht so schnell, dass es schwierig ist, die einzelnen Rollen zu identifizieren.
Aufführung ohne Worte zwingt zum Nachdenken
Sicher ist, dass viele Varianten menschlicher Abartigkeiten ausgespielt werden, Missbrauch, Unterdrückung, Eifersucht, Bereicherung auf Kosten anderer. Sicher ist auch, dass sich die Gesellschaft der Blinden mit ihrem Los abzufinden beginnt, bevor am Ende plötzlich alle wieder sehen. Doch der Spuk ist nicht vorbei. Blind ist nun die Frau in Rot. Ohne sich zu kümmern, überlassen die anderen sie ihrem Schicksal.
„So eine Aufführung ohne Worte zwingt einen schon zum Nachdenken“, sagt eine Zuschauerin. Stürmischer Beifall belohnt die Akteure, die sich nach vielen Verbeugungen und kurzer Verschnaufpause gleich daran machen, die aufwändige Installation wieder abzubauen. Da zeigen die Bewegungskünstler gleich auch noch technisches Geschick. In zwei riesigen LKW-Anhängern reist die zerlegte Theaterbühne der Krakauer zum nächsten Spielort, dem Mediapark in Köln.