Oberhausen. Vor 23 Jahren enterte Matthias Reim mit seinem Kulthit „Verdammt, ich lieb dich“ die Hitparaden. Nach einer zwischenzeitlichen finanziellen Bauchlandung kämpfte sich der heute 55-Jährige zurück. Am 5. Mai spielt er in König-Pilsener-Arena in Oberhausen ein Konzert. Dabei musste er die Menschen im Revier erst lieben lernen.

Sie sind seit Jahrzehnten im Musikgeschäft. Sind Auftritte für Sie Routine?

Matthias Reim: Nein, dafür wäre ich dankbar. Denn das Kribbeln vor einem Auftritt nervt. Aber wahrscheinlich muss es so sein, um die Energie zu sammeln. Wahrscheinlich bin ich der letzte Künstler, der so etwas noch hat.

Wie fühlt sich das an?

Reim: Die Leute wollen noch mit mir reden. Ich sage dann meistens: Los, geh’ weg! Ich kann nicht mehr zuhören. Das ist wie eine Glocke über dem Kopf, die fürchterlich dröhnt. Es fängt schon beim Mittagessen an und löst sich erst, wenn du tatsächlich auf der Bühne stehst.

Matthias Reim ist zurück

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    Haben Sie eine spezielle Technik, um sich abzulenken?

    Reim: Eigentlich nicht, vielleicht indem ich etwas Leichtes esse, also „Spaghetti Bolognese“ oder ein Filetsteak (lacht). Dann schnappe ich mir ein Buch, schlafe noch mal kurz ein, weil der letzte Abend ja auch anstrengend war. Ich treffe mich mit der Security auf einen Kaffee. Dann wird noch eine geraucht, ein Kaffee getrunken, eine Kalt-Dusche, um den Körper auf Energie zu trimmen. Dann geht’s los!

    Ihr Kollege Heino hat bekannte Pop-Hits nachgesungen. Auf welcher Seite sehen Sie sich? Jemand, der so etwas auch machen könnte?

    Reim: Witzige Sache, eigentlich hätte Heino auch ein paar Hits von mir mitnehmen können. Nein, bei mir liegt der Schwerpunkt woanders. Ich erzähle in Songs meine Geschichten und die der Leute. Ich habe auf einer „Special Edition“ einige Ostrock-Legenden gecovert, um meine Verehrung zu zeigen.

    Warum das?

    Reim: Ich würde mich freuen, wenn die Leute im Westen zur Kenntnis nehmen, was für tolle Songs im Osten entstanden sind. Das wollte ich immer schon einmal machen.

    Können Sie nachvollziehen, dass es Künstler stört, wenn ihre Songs gecovert werden?

    Reim: Ich finde es toll, wenn ich gecovert werde. Ganz ehrlich: Ich denke, dass bei Heino die Leute eher darum gebeten wurden, das scheiße zu finden. Es wird bei mir kein Konzert geben ohne „Verdammt, ich lieb dich“. Das würden mir die Leute sonst extrem übel nehmen.

    Haben Sie noch Träume?

    Reim: Mit einem meiner Konzerte möchte ich die Arena auf Schalke füllen. Dann soll das gesamte Ruhrgebiet nach Schalke kommen. Das hat auch Symbolcharakter, weil die Leute hier so geradeaus sind, wie ich es bin. Sie mussten nach dem Aus für die Zechen ebenfalls umdenken. Es sind die perfekten Wiederaufsteher!

    Matthias Reim musste das Ruhrgebiet erst lieben lernen 

    Welche Art von Musik macht Matthias Reim?

    Reim: Was wir auf der Bühne zeigen, ist definitiv eine Rockshow. Wir feiern, sind wild und laut. Auf den Platten mache ich alles – von Reggae über Techno hin zu Discofox, obwohl ich gar nicht tanzen kann. Ich lasse mich nicht festlegen.

    Wenn Sie jemand als Schlagerstar bezeichnet, ist das eher Beleidigung oder Kompliment?

    Reim: Früher habe ich immer versucht, mich diesem Stempel zu entziehen. Heute ist es mir das relativ egal, weil es eh nicht in meiner Macht liegt. Bei mir steht häufig Schlagersänger, obwohl ich wohl mehr Rocker bin als viele andere.

    Was verbinden Sie mit dem Revier?

    Reim: Ich kannte das Ruhrgebiet früher gar nicht. Ich komme aus einer Kleinstadt in Hessen, da sind immer 20 Kilometer zwischen den Orten. 1979 war ich zum ersten Mal mit einer kleinen Rockband im Revier. Meine Frau stammt aus Gladbeck. Erst musste mich dran gewöhnen. Ich habe immer gefragt: Warum beschimpfen die mich? Aber dann habe ich gemerkt: Die beschimpfen mich gar nicht. Die reden mit mir. Hier geht alles direkt vor die Glocke. Das finde ich mittlerweile so geil.

    „Verdammt, ich lieb nicht“ wurde im Jahr 1990 ein Riesenhit. Und alles fing mit Wim Thoelke an?

    Reim: Ich habe meinem Kumpel Bernhard Brink eine Kassette geschickt. Er wiederum hat es einem Redakteur der „ZDF Hitparade“ im Auto vorgespielt. Der hat es sich angehört und mich aus dem Wagen mit einem Mobiltelefon direkt angerufen. So kam ich in die Sendung, der Rest ist Geschichte.

    1990 haben Sie einen Bravo Otto in Gold gewonnen, noch vor David Hasselhoff…

    Reim: Ich hatte von dem Popstar-sein damals keine Ahnung. In einem abenteuerlichen Tempo wurde aus einem Studiofutzi ein Megapromi. Ich habe aber die Gefahren gesehen. Wenn du ein Bravo-Star bist, dann hast du eine Halbwertszeit, die maximal anderthalb Jahre dauert. Dann wirst du von der nächsten Boygroup abgelöst.

    Was Matthias Reim mit Hitchcock und Tarantino verbindet 

    Viele Stars werden müde, ihre großen Hits zu spielen…

    Reim: Ich liebe das aber! Wenn der Satz „Ich ziehe durch die Straßen bis nach Mitternacht!“ kommt, lehnst du dich nur zurück und alle im Publikum singen mit. Der Song ist für mich nie alt geworden.

    Ihre Tour heißt „Unendlich“. Denken Sie manchmal daran, dass eine Karriere nicht unendlich ist?

    Reim: Nein. Für mich ist die Musik keine Arbeit. Wenn ich fit und gesund bleibe, dann mache ich das noch 25 Jahre lang.

    Das Wort „Verdammt“ kommt in vielen Ihrer Songs vor. Kalkül?

    Reim: Ich gehe gerne ins Kino. Ob Hitchcock oder Tarantino. Beide haben etwas gemacht, was mich sehr fasziniert: Sie tauchen in ihren Filmen kurz auf. Ich spiele also gerne damit und lasse das Wort „Verdammt“ kurz einfließen. Dieser Schatten wird immer bei mir sein. Wenn einer das Wort glaubwürdig benutzen kann, dann bin ich es und sonst niemand.

    Mit Ihrer zwischenzeitlich finanziell heiklen Situation, hohen Schulden, sind Sie sehr offensiv umgegangen. Sie haben für den Autoverleiher Sixt mit dem Spruch „Verdammt, ich hab nix“ geworben. Warum?

    Reim: Das waren Befreiungsschläge. Es war mir ein Urbedürfnis zu zeigen, dass das Leben auch ohne Kohle schön sein kann. Ich wollte fragen, wie die Leute auf die Idee kommen, dass ich ohne Geld nun unglücklich sei. Glück definiert sich nicht durch Reichtum, sondern einen erfüllten Job. Ich habe immer gerne Musik gemacht, auch vor 500 Leuten. Ich hatte nie ein Problem damit runterzufahren. Ich bin mein eigenes Statussymbol, dafür brauche ich keine Ferraris.