Oberhausen. . Nach der Explosion an der Hirtenstraße in Oberhausen-Sterkrade muss die Familie Sauerborn mit ansehen, wie Bagger nach und nach ihr altes Zuhause abreißen. In den Trümmern suchen die Sauerborns Überbleibsel ihres Hauses. Von einem verlorenen Heim und gewonnener Nachbarschaftshilfe.

Der erste Moment tat weh. Wie ein Schlag in die Magengrube. Mittlerweile hat sich Volker Sauerborn an den Anblick gewöhnt. Daran, wie sich die Kralle des Abrissbaggers tiefer und tiefer ins Mauerwerk des Familienhauses gräbt, wie ein Zimmer nach dem anderen, ein ganzes Zuhause nach und nach einstürzt. „Man hängt nicht an einzelnen Dingen. Man hängt an dem Ganzen“, sagt Volker Sauerborn. „Wie man sich eingerichtet hat, wie man gelebt hat, das macht ein Zuhause aus. Und das ist jetzt alles weg.“

Eine Woche ist es nun her, dass die Familie Sauerborn sich vor dem Nichts sah. In der rechten Hälfte des Doppelhauses an der Hirtenstraße hatte sich aus immer noch ungeklärter Ursache eine heftige Explosion ereignet. Die Sauerborns lebten in dem linken Gebäudeteil, sie und ihre Nachbarn kamen zum Erstaunen vieler Beobachter nur mit leichten Verletzungen davon. Doch noch am Freitag musste die zerstörte rechte Haushälfte abgerissen werden. Bis Montag war unklar, ob die linke Haushälfte zu erhalten ist.

Das Gebäude war 100 Jahre alt

„Irgendwie hat man ja doch gehofft, dass es möglich ist“, sagt Volker Sauerborn. Dann kam der Statiker, erklärte, dass das rund 100 Jahre alte Haus, in dem er und seine Frau Sabine 23 Jahre lang zusammengelebt haben, ihre 13-jährige Tochter Anne aufgewachsen ist, abgerissen werden müsse. Die Explosion hatte die gemeinsame Wand zwischen den Haushälften weggesprengt. Der 47-jährige Sauerborn hat den Schaden gesehen: „Das war für uns keine Überraschung mehr. Das nimmt man dann so hin.“

Nun kommt der Familienvater jeden Tag, um aus den Trümmern und Baucontainern das zu retten, was Explosion und Abriss überstanden hat. Auch an diesem Morgen steht er vor der Absperrung.

Dahinter sitzt Andreas Kok im Führerhäuschen eines Abrissbaggers. Seit 1999 mache er diesen Job, nur sei es diesmal kein leichter. „In der Regel reißen wir entkernte Häuser ab. Familien hatten vorher die Zeit, sie auszuräumen.“ Bei diesem Abriss achte er deshalb darauf, auch Gegenstände zu retten. So geschickt bewegt er den Bagger, dass er ganze Schränke bergen kann. Schränke mit Akten, Schubladen mit Fotos, alten Videokassetten. „Wir dachten, wir stehen vor dem Nichts“, so Sauerborn, „jetzt freut man sich über jedes bisschen.“

Freunde und Nachbarn packen mit an

Freunde aus Göttingen und Bocholt sind gekommen, um auszuhelfen. In Kartons haben sie die Fundstücke gesammelt, zur Lagerung und als Treffpunkt hat Jürgen Kleinschmidt, ein Nachbar, sein Wohnzimmer für alle geöffnet. Ein Wohnzimmer, das Sauerborn vorher nie betreten hatte. „Es ist unglaublich, wie uns all unsere Nachbarn helfen.“ Jeder packe mit an, bringe Kaffee, helfe aus. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

Doch der Verlust des Hauses, der Schock, er sitzt tief: Die ganze Familie leide darunter, sagt Sauerborn, besonders seine Tochter. Auch seine Frau. Sie hatte Anfang des Jahres ein bekanntes Modegeschäft in Sterkrade verkauft, um sich beruflich neu zu orientieren. Das wird nun erst einmal nichts. Ihre Mutter, die im Erdgeschoss gewohnt hatte, sie verliert das Haus, das sie in jungen Jahren mit ihrem Mann gekauft und restauriert hat. In dem sie alt werden wollte.

„Wenn jetzt alles nass wird, ist da nichts mehr zu retten“

Unter der Kralle des Abrissbaggers wird ein Badezimmer sichtbar, wie mit einem riesigen Fingernagel kratzt Baggerfahrer Kok Mauer, Tapete, Fliesenspiegel ab. Dann pfeift einer der umstehenden Aufseher: zu viel Baustaub. Der Wasserschlauch wird ausgerollt, Sauerborn fährt sich mit der Hand über den Mund: „Wenn jetzt alles nass wird, ist da nichts mehr zu retten.“

Da bleibt die Briefträgerin vor ihm stehen, reicht ihm wie selbstverständlich mit einem kurzen Lächeln die Post für die Hirtenstraße 4a. Auf dem Weg zurück zum Fahrrad wird sie von einer Passantin angesprochen. Wichtig sei, meint die Frau, dass alle heil aus dem Haus gekommen seien. Volker Sauerborn nickt, dafür sei er dankbar. „Aber dann legt man den Gedanken zur Seite und schaut, was geblieben ist. Man macht weiter."

Explosion in Oberhausen

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